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Erster Akt, Erster Auftritt

 

Zimmer beim Musikus.
Miller steht eben vom Sessel auf und stellt sein Violoncell auf die Seite.
An einem Tisch sitzt Frau Millerin noch im Nachtgewand und trinkt ihren Kaffee.

Miller

schnell auf- und abgehend
Einmal für allemal! Der Handel wird ernsthaft. Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei.Mein Haus wird verrufen. Der Präsident bekommt Wind, und kurz und gut, ich biete dem Junker aus.

Frau
Du hast ihn nicht in dein Haus geschwatzt - hast ihm deine Tochter nicht nachgeworfen.

Miller
Hab' ihn nicht in mein Haus geschwatzt - hab' ihm 's Mädel nicht nachgeworfen; wer nimmt Notiz davon? -Ich war Herr im Haus. Ich hätt' meine Tochter mehr coram nehmen sollen. Ich hätt' dem Major besser auftrumpfen sollen - oder hätt' gleich Alles Seiner Excellenz, dem Herrn Papa, stecken sollen. Der junge Baron bringt's mit einem Wischer hinaus, das muß ich wissen, und alles Wetter kommt über den Geiger.

Frau
schlürft eine Tasse aus
Possen! Geschwätz! Was kann über dich kommen? Wer kann dir was anhaben? Du gehst deiner Profession nach und raffst Scholaren zusammen, wo sie zu kriegen sind.

Miller
Aber, sag mir doch, was wird bei dem ganzen Commerz auch herauskommen? - Nehmen kann er das Mädel nicht - Vom Nehmen ist gar die Rede nicht, und zu einer - daß Gott erbarm? - Guten Morgen! - Gott, wenn so ein Musje von sich da und dort, und dort und hier schon herumbeholfen hat, wenn er, der Henker weiß! was als? gelöst hat, schmeckt's meinem guten Schlucker freilich, einmal auf süß Wasser zu graben. Gib du Acht! gib du Acht! und wenn du aus jedem Astloch ein Auge strecktest und vor jedem Blutstropfen Schildwache ständest, er wird sie, dir
auf der Nase, beschwatzen, dem Mädel Eins hinsetzen und führt sich ab, und das Mädel ist verschimpfiert auf ihr Lebenlang, bleibt sitzen, oder hat's Handwerk verschmeckt, treibt's fort.
Die Hand vor der Stirn
Jesus Christus!


Frau
Gott behüt' uns in Gnaden!


Miller
Es hat sich zu behüten. Worauf kann so ein Windfuß wohl sonst sein Absehen richten? - Das Mädel ist schön - schlank - führt seinen netten Fuß. Unterm Dach mag's aussehen, wie's will. Darüber guckt man bei euch Weibsleuten weg, wenn's nur der liebe Gott parterre nicht hat fehlen lassen - Stöbert mein Springinsfeld erst noch dieses Kapital aus - he da! geht ihm ein Licht auf, wie meinem Rodney, wenn er die Witterung eines Franzosen kriegt, und nun müssen alle Segel dran, und drauf los, und - ich verdenk's ihm gar nicht. Mensch ist Mensch. Das muß ich wissen.

Frau
Solltest nur die wunderhübsche Billeter auch lesen, die der gnädige Herr an deine Tochter als schreiben thut. Guter Gott! da sieht man's ja sonnenklar, wie es ihm pur um ihre schöne Seele zu thun ist.


Miller
Das ist die rechte Höhe. Auf den Sack schlägt man, den Esel meint man. Wer einen Gruß an das liebe Fleisch zu bestellen hat, darf nur das gute Herz Boten gehen lassen. Wie hab' ich's gemacht? Hat man's nur erst so weit im Reinen, daß die Gemüther topp machen, wutsch! nehmen die Körper ein Exempel; das Gesind macht's der Herrschaft nach, und der silberne Mond ist am End nur der Kuppler gewesen.

Frau
Sieh doch nur erst die prächtigen Bücher an, die der Herr Major ins Haus geschafft haben. Deine Tochter betet auch immer draus.




Miller
pfeift

Hui da! Betet! Du hast den Witz davon. Die rohen Kraftbrühen der Natur sind Ihro Gnaden zartem akronenmagen noch zu hart. - Er muß sie erst in der höllischen Pestilenzküche der Belletristen künstlich aufkochen lassen. Ins Feuer mit dem Quark. Da saugt mir das Mädel - weiß Gott, was als für? - überhimmlische Alfanzereien ein, das läuft dann wie spanische Mucken ins Blut und wirft mir die Handvoll Christenthum noch gar auseinander, die der Vater mit knapper Noth soso noch zusammenhielt. Ins Feuer, sag' ich. Das Mädel setzt sich alles Teufelsgezeug in den Kopf; über all dem Herumschwänzen in der Schlaraffenwelt findet's zuletzt seine Heimath nicht mehr, vergißt, schämt sich, daß sein Vater Miller der Geiger ist, und verschlägt mir am End einen wackern ehrbaren Schwiegersohn, der sich so warm in meine Kundschaft hineingesetzt hätte - - Nein! Gott verdamm mich!
Er springt auf, hitzig

 

Gleich muß die Pastete auf den Herd, und dem Major - ja ja, dem Major will ich weisen, wo Meister Zimmermann das Loch gemacht hat.
Er will fort

 

Frau
Sei artig, Miller. Wie manchen schönen Groschen haben uns nur die Präsenter -

Miller
kommt zurück und bleibt vor ihr stehen
Das Blutgeld meiner Tochter? - Schier dich zum Satan, infame Kupplerin! - Eh will ich mit meiner Geig' auf den Bettel herumziehen und das Concert um was Warmes geben - eh will ich mein Violoncello zerschlagen und Mist im Sonanzboden führen, eh ich mir's schmecken lass' von dem Geld, das mein einziges Kind mit Seel' und Seligkeit abverdient. - Stell den vermaledeiten Kaffee ein und das Tobackschnupfen, so brauchst du deiner Tochter Gesicht nicht zu Markt zu treiben. Ich hab mich satt gefressen und immer ein gutes Hemd auf dem Leib gehabt, eh so ein vertrackter Tausendsasa in meine Stube geschmeckt hat.

Frau
Nur nicht gleich mit der Thür ins Haus! Wie du doch den Augenblick in Feuer und Flammen stehst! Ich sprech ja nur, man müss' den Herrn Major nicht disguschthüren, weil Sie des Präsidenten Sohn sind.

Miller
Da liegt der Haas im Pfeffer. Darum, just eben darum muß die Sach noch heut auseinander. Der Präsident muß es mir Dank wissen, wenn er ein rechtschaffener Vater ist. Du wirst mir meinen rothen plüschenen Rock ausbürsten, und ich werde mich bei Seiner Excellenz anmelden lassen. Ich werde sprechen zu seiner Excellenz: Dero Herr Sohn haben ein Aug auf meine Tochter; meine Tochter ist zu schlecht zu Dero Herrn Sohnes Frau, aber zu Dero Herrn Sohnes Hure ist meine Tochter zu kostbar, und damit basta! - Ich heiße Miller.

Frau
Ah guten Morgen, Herr Sekertare! Hat man auch einmal wieder das Vergnügen von Ihnen?

 

Wurm
Meinerseits, meinerseits, Frau Base! Wo eine Cavaliersgnade einspricht, kommt mein bürgerliches Vergnügen in gar keine Rechnung.

 

Frau
Was Sie nicht sagen, Herr Sekertare! Des Herrn Majors von Walter hohe Gnaden machen uns wohl je und je das Bläsier; doch verachten wir darum Niemand.

 

Miller
verdrießlich
Dem Herrn einen Sessel, Frau. Wollen's ablegen, Herr Landsmann?

 

Wurm
legt Hut und Stock weg, setzt sich
Nun! nun! und wie befindet sich denn meine Zukünftige - oder Gewesene? - Ich will doch nicht hoffen - kriegt man sie nicht zu sehen - Mamsell Luisen?

 

Frau
Danken der Nachfrage, Herr Sekertare. Aber meine Tochter ist doch gar nicht hochmüthig.

 

Miller
ärgerlich, stößt sie mit dem Ellenbogen
Weib!

 

Frau
Bedauern's nur, daß sie die Ehre nicht haben kann vom Herrn Sekertare. Sie ist eben in der Meß, meine Tochter.

 

Wurm
Das freut mich, freut mich. Ich werd' mal eine fromme, christliche Frau an ihr haben.

 

Frau
lächelt dumm-vornehm
Ja - aber, Herr Sekertare -

 

Miller
in sichtbarer Verlegenheit, kneipt sie in die Ohren
Weib!

 

Frau
Wenn Ihnen unser Haus sonst irgend wo dienen kann - mit allem Vergnügen, Herr Sekertare -

 

Wurm
macht falsche Augen
Sonst irgendwo! Schönen Dank! Schönen Dank! - Hem! hem! hem!

 

Frau
Aber - wie der Herr Sekertare selber die Einsicht werden haben -

 

Miller
voll Zorn seine Frau vor den Hintern stoßend
Weib!

 

Frau
Gut ist gut, und besser ist besser, und einem einzigen Kind mag man doch auch nicht vor seinem Glück sein. (Bäurisch-stolz.) Sie werden mich ja doch wohl merken, Herr Sekertare?

 

Wurm
rückt unruhig im Sessel, kratzt hinter den Ohren und zupft an Manschetten und Jabot
Merken? Nicht doch - O ja - Wie meinen Sie denn?

 

Frau
Nu - nu - ich dächte nur - ich meine,
hustet
weil eben halt der liebe Gott meine Tochter barrdu zur gnädigen Madam will haben -

 

Wurm
fährt vom Stuhl
Was sagen Sie da? Was?

 

Miller
Bleiben sitzen! Bleiben sitzen, Herr Secretarius! Das Weib ist eine alberne Gans. Wo soll eine gnädige Madam herkommen? Was für ein Esel streckt sein Langohr aus diesem Geschwätze?

 

Frau
Schmähl du, so lang du willst. Was ich weiß, weiß ich - und was der Herr Major gesagt hat, das hat er gesagt.

 

Miller
aufgebracht, springt nach der Geige
Willst du dein Maul halten? Willst du das Violoncell am Hirnkasten wissen? - Was kannst du wissen? Was kann er gesagt haben? - Kehren sich an das Geklatsch nicht, Herr Vetter - Marsch du, in deine Küche! - Werden mich doch nicht für des Dummkopfs leiblichen Schwager halten, daß ich oben aus woll' mit dem Mädel? Werden doch das nicht von mir denken, Herr Secretarius?

 

Wurm
Auch hab' ich es nicht um Sie verdient, Herr Musikmeister. Sie haben mich jederzeit den Mann von Wort sehen lassen und meine Ansprüche auf Ihre Tochter waren so gut als unterschrieben. Ich habe ein Amt, das seinen guten Haushälter nähren kann; der Präsident ist mir gewogen; an Empfehlungen kann's nicht fehlen, wenn ich mich höher poussieren will. Sie sehen, daß meine Absichten auf Mamsell Luisen ernsthaft sind, wenn Sie vielleicht von einem adeligen Windbeutel herumgeholt -

 

Frau
Herr Sekertare Wurm! Mehr Respect, wenn man bitten darf -

 

Miller
Halt du dein Maul, sag' ich - Lassen Sie es gut sein, Herr Vetter! Es bleibt beim Alten. Was ich Ihnen verwichenen Herbst zum Bescheid gab, bring' ich heut wieder. Ich zwinge meine Tochter nicht. Stehen Sie ihr an - wohl und gut, so mag sie zusehen, wie sie glücklich mit Ihnen wird. Schüttelt sie den Kopf - noch besser - - in Gottes Namen wollt' ich sagen - so stecken Sie den Korb ein und trinken eine Bouteille mit dem Vater - Das Mädel muß mit Ihnen leben - ich nicht. - Warum soll ich ihr einen Mann, den sie nicht schmecken kann, aus purem klarem Eigensinn an den Hals werfen? - Daß mich der böse Feind in meinen eisgrauen Tagen noch wie sein Wildpret herumhetzt - daß ich's in jedem Glas Wein zu saufen - in jeder Suppe zu fressen kriege: Du bist der Spitzbube, der sein Kind ruiniert hat.

 

Frau
Und kurz und gut - ich geb meinen Consenz absolut nicht; meine Tochter ist zu was Hohem gemünzt, und ich lauf' in die Gerichte, wenn mein Mann sich beschwatzen läßt.

 

Miller
Willst du Arm und Bein entzwei haben, Wettermaul?

 

Wurm
zu Millern
Ein väterlicher Rath vermag bei der Tochter viel, und hoffentlich werden Sie mich kennen, Herr Miller?

 

Miller
Daß dich alle Hagel! 's Mädel muß Sie kennen. Was ich alter Knasterbart an Ihnen abgucke, ist just kein Fressen fürs junge naschhafte Mädel. Ich will Ihnen aufs Haar hin sagen, ob Sie ein Mann fürs Orchester sind - aber eine Weiberseel' ist auch für einen Kapellmeister zu spitzig. - Und dann von der Brust weg, Herr Vetter - ich bin halt ein plumper gerader deutscher Kerl - für meinen Rath würden Sie sich zuletzt wenig bedanken. Ich rathe meiner Tochter zu Keinem - aber Sie mißrath ich meiner Tochter, Herr Secretarius! Lassen mich ausreden. Einem Liebhaber, der den Vater zu Hilfe ruft, trau' ich - erlauben Sie - keine hohle Haselnuß zu. Ist er was, so wird er sich schämen, seine Talente durch diesen altmodischen Kanal vor seine Liebste zu bringen - Hat er's Courage nicht, so ist er ein Hasenfuß, und für den sind keine Luisen gewachsen - - Da! hinter dem Rücken des Vaters muß er sein Gewerb an die Tochter bestellen. Machen muß er, daß das Mädel lieber Vater und Mutter zum Teufel wünscht, als ihn fahren läßt, - oder selber kommt, dem Vater zu Füßen sich wirft und sich um Gotteswillen den schwarzen gelben Tod oder den Herzeinigen ausbittet - Das nenn' ich einen Kerl! das heißt lieben! - und wer's bei dem Weibsvolk nicht so weit bringt, der soll - - auf seinem Gänsekiel reiten.

 

Wurm
greift nach Hut und Stock und zum Zimmer hinaus
Obligation, Herr Miller!

 

Miller
geht ihm langsam nach
Für was? für was? Haben Sie ja doch nichts genossen, Herr Secretarius!
Zurückkommend

Nichts hört er, und hin zieht er - - Ist mir's doch wie Gift und Operment, wenn ich den Federfuchser zu Gesichte krieg'. Ein confiscierter widriger Kerl, als hätt' ihn irgend ein Schleichhändler in die Welt meines Herrgotts hineingeschachert - Die kleinen tückischen Mausaugen - die Haare brandroth - das Kinn herausgequollen, gerade als wenn die Natur für purem Gift über das verhunzte Stück Arbeit meinen Schlingel da angefaßt und in irgend eine Ecke geworfen hätte - Nein! eh ich meine Tochter an so einen Schuft wegwerfe, lieber soll sie mir - Gott verzeih mir's -

 

Frau
spuckt aus, giftig
Der Hund! - aber man wird dir's Maul sauber halten!

 

Miller
Du aber auch mit deinem pestilenzialischen Junker - Hast mich vorhin auch so in Harnisch gebracht - Bist doch nie dummer, als wenn du um Gotteswillen gescheidt sein solltest. Was hat das Geträtsch von einer gnädigen Madam und deiner Tochter da vorstellen sollen? Das ist mir der Alte! Dem muß man so was an die Nase heften, wenn's morgen am Marktbrunnen ausgeschellt sein soll. Das ist just so ein Musje, wie sie in der Leute Häusern herumriechen, über Keller und Koch räsonnieren, und springt einem ein nasenweises Wort übers Maul - Bumbs! haben's Fürst und Mätreß und Präsident, und du hast das siedende Donnerwetter am Halse.

Luise

legt das Buch nieder, geht zu Millern und drückt ihm die Hand

Guten Morgen, lieber Vater.

 

Miller

warm

Brav, meine Luise - Freut mich, daß du so fleißig an deinen Schöpfer denkst. Bleib immer so, und sein Arm wird dich halten.

 

Luise

O! ich bin eine schwere Sünderin, Vater - War er da, Mutter?

 

Frau

Wer, mein Kind?

 

Luise

Ah! ich vergaß, daß es noch außer ihm Menschen gibt - Mein Kopf ist so wüste - Er war nicht da? Walter?

 

Miller

traurig und ernsthaft

Ich dachte, meine Luise hätte den Namen in der Kirche gelassen?

 

Luise

nachdem sie ihn eine Zeitlang starr angesehen

Ich versteh' ihn, Vater - fühle das Messer, das Er in mein Gewissen stößt; aber es kommt zu spät. - Ich hab' keine Andacht mehr, Vater - der Himmel und Ferdinand reißen an meiner blutenden Seele, und ich fürchte - ich fürchte - (Nach einer Pause.) Doch nein, guter Vater. Wenn wir ihn über dem Gemälde vernachlässigen, findet sich ja der Künstler am feinsten gelobt. - Wenn meine Freude über sein Meisterstück mich ihn selbst übersehen macht, Vater, muß das Gott nicht ergötzen?

 

Miller

wirft sich unmuthig in den Stuhl

Da haben wir's! Das ist die Frucht von dem gottlosen Lesen.

 

Luise

tritt unruhig an ein Fenster

 

Wo er wohl jetzt ist? - Die vornehmen Fräulein, die ihn sehen - ihn hören - ich bin ein schlechtes, vergessenes Mädchen.

Erschrickt an dem Wort und stürzt ihrem Vater zu

 

Doch nein, nein! verzeih' Er mir. Ich beweine mein Schicksal nicht. Ich will ja nur wenig - an ihn denken - das kostet ja nichts. Dies Bischen Leben - dürft' ich es hinhauchen in ein leises, schmeichelndes Lüftchen, sein Gesicht abzukühlen; - dies Blümchen Jugend - wär' es ein Veilchen, und er träte drauf, und es dürfte bescheiden unter ihm sterben! - Damit genügte mir, Vater! Wenn die Mücke in ihren Strahlen sich sonnt - kann sie das strafen, die stolze majestätische Sonne?

 

Miller

beugt sich gerührt an die Lehne des Stuhls und bedeckt das Gesicht

Höre, Luise - das Bissel Bodensatz meiner Jahre, ich gäb' es hin, hättest du den Major nie gesehen.

 

Luise

erschrocken

Was sagt Er da? was? - Nein, er meint es anders, der gute Vater. Er wird nicht wissen, daß Ferdinand mein ist, mir geschaffen, mir zur Freude vom Vater der Liebenden. (Sie steht nachdenkend.) Als ich ihn das Erstemal sah -

rascher

 

und mir das Blut in die Wangen stieg, froher jagten alle Pulse, jede Wallung sprach, jeder Athem lispelte: er ist's! - und mein Herz den Immermangelnden erkannte, bekräftigte: er ist's! und wie das wiederklang durch die ganze mitfreuende Welt! Damals - o damals ging in meiner Seele der erste Morgen auf. Tausend junge Gefühle schossen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus dem Erdreich, wenn's Frühling wird. Ich sah keine Welt mehr, und doch besinn' ich mich, daß sie niemals so schön war. Ich wußte von keinem Gott mehr, und doch hatt' ich ihn nie so geliebt.

 

Miller

tritt auf sie zu, drückt sie wider seine Brust

Luise - theures - herrliches Kind - nimm meinen alten mürben Kopf - nimm Alles - Alles! - den Major - Gott ist mein Zeuge - ich kann dir ihn nimmer geben.

Er geht ab

 

Luise

Auch will ich ihn ja jetzt nicht, mein Vater! Dieser karge Thautropfen Zeit - schon ein Traum von Ferdinand trinkt ihn wollüstig auf. Ich entsag' ihm für dieses Leben. Dann, Mutter - dann wenn die Schranken des Unterschieds einstürzen - wenn von uns abspringen all die verhaßten Hülsen des Standes - Menschen nur Menschen sind - Ich bringe nichts mit mir, als meine Unschuld; aber der Vater hat ja so oft gesagt, daß der Schmuck und die prächtigen Titel wohlfeil werden, wenn Gott kommt, und die Herzen im Preise steigen. Ich werde dann reich sein. Dort rechnet man Thränen für Triumphe und schöne Gedanken für Ahnen an. Ich werde dann vornehm sein, Mutter - Was hätte er dann noch vor seinem Mädchen voraus?

 

Frau

fährt in die Höhe

Luise! der Major! Er springt über die Planke. Wo verberg' ich mich doch?

 

Luise

fängt an zu zittern

Bleib Sie doch, Mutter!

 

Frau

Mein Gott! Wie seh' ich aus; ich muß mich ja schämen. Ich darf mich nicht vor seiner Gnaden so sehen lassen.

Ab

Er fliegt auf sie zu - sie sinkt entfärbt und matt auf einen Sessel - er bleibt vor ihr stehn - sie sehen sich eine Zeitlang stillschweigend an. Pause.

 

Ferdinand

Du bist blaß, Luise?

 

Luise

steht auf und fällt ihm um den Hals

Es ist nichts! nichts! Du bist ja da. Es ist vorüber.

 

Ferdinand

ihre Hand nehmend und zum Munde führend

Und liebt mich meine Luise noch? Mein Herz ist das gestrige, ist's auch das deine noch? Ich fliege nur her, will sehen, ob du heiter bist, und gehn und es auch sein - Du bist's nicht.

 

Luise

Doch, doch, mein Geliebter.

 

Ferdinand

Rede mir Wahrheit. Du bist's nicht. Ich schau durch deine Seele, wie durch das klare Wasser dieses Brillanten.

Zeigt auf seinen Ring

Hier wirft sich kein Bläschen auf, das ich nicht merkte - kein Gedanke tritt in dies Angesicht, der mir entwischte. Was hast du? Geschwind! Weiß ich nur diesen Spiegel helle, so läuft keine Wolke über die Welt. Was bekümmert dich?

 

Luise

sieht ihn eine Weile stumm und bedeutend an, dann mit Wehmuth

Ferdinand! Ferdinand! Daß du doch wüßtest, wie schön in dieser Sprache das bürgerliche Mädchen sich ausnimmt -

 

Ferdinand. Was ist das?

Befremdet

Mädchen! Höre! wie kommst du auf das? - Du bist meine Luise. Wer sagt dir, daß du noch etwas sein solltest? Siehst du, Falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begegnen muß. Wärest du ganz nur Liebe für mich, wann hättest du Zeit gehabt, eine Vergleichung zu machen? Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick - in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und du hast noch eine Klugheit neben deiner Liebe? - Schäme dich! Jeder Augenblick, den du an diesen Kummer verlorst, war deinem Jüngling gestohlen.

 

Luise

faßt seine Hand, indem sie den Kopf schüttelt

Du willst mich einschläfern, Ferdinand - willst meine Augen von diesem Abgrund hinweglocken, in den ich ganz gewiß stürzen muß. Ich seh' in die Zukunft - die Stimme des Ruhms - deine Entwürfe - dein Vater - mein Nichts.

Erschrickt und läßt plötzlich seine Hand fahren

 

Ferdinand! Ein Dolch über dir und mir! - Man trennt uns!

 

Ferdinand

Trennt uns!

Er springt auf

 

Woher bringst du diese Ahnung, Luise? Trennt uns? - Wer kann den Bund zweier Herzen lösen, oder die Töne eines Accords auseinander reißen? - Ich bin ein Edelmann - Laß doch sehen, ob mein Adelbrief älter ist, als der Riß zum unendlichen Weltall? oder mein Wappen gültiger, als die Handschrift des Himmels in Luisens Augen: dieses Weib ist für diesen Mann? - Ich bin des Präsidenten Sohn. Eben darum. Wer, als die Liebe, kann mir die Flüche versüßen, die mir der Landeswucher meines Vaters vermachen wird?

 

Luise

O wie sehr fürcht' ich ihn - diesen Vater!

 

Ferdinand

Ich fürchte nichts - nichts - als die Grenzen deiner Liebe. Laß auch Hindernisse wie Gebirge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und drüber hin in Luisens Arme fliegen. Die Stürme des widrigen Schicksals sollen meine Empfindung emporblasen, Gefahren werden meine Luise nur reizender machen. - Also nichts mehr von Furcht, meine Liebe. Ich selbst - ich will über dir wachen, wie der Zauberdrach über unterirdischem Golde - Mir vertraue dich! Du brauchst keinen Engel mehr - Ich will mich zwischen dich und das Schicksal werfen - empfangen für dich jede Wunde - auffassen für dich jeden Tropfen aus dem Becher der Freude - dir ihn bringen in die Schale der Liebe

Sie zärtlich umfassend

 

An diesem Arm soll meine Luise durchs Leben hüpfen; schöner, als er dich von sich ließ, soll der Himmel dich wieder haben und mit Verwunderung eingestehn, daß nur die Liebe die letzte Hand an die Seelen legte -

 

Luise

drückt ihn von sich, in großer Bewegung

 

Nichts mehr! Ich bitte dich, schweig! - Wüßtest du - Laß mich - du weißt nicht, daß deine Hoffnungen mein Herz wie Furien anfallen.

Will fort

 

Ferdinand

hält sie auf

 

Luise? Wie! Was! Welche Anwandlung?

 

Luise

Ich hatte diese Träume vergessen und war glücklich - Jetzt! jetzt! von heut an - der Friede meines Lebens ist aus - Wilde Wünsche - ich weiß es - werden in meinem Busen rasen. - Geh - Gott vergebe dir's - Du hast den Feuerbrand in mein junges, friedsames Herz geworfen, und er wird nimmer, nimmer gelöscht werden.

Sie stürzt hinaus. Er folgt ihr sprachlos nach

 

Der Präsident, ein Ordenskreuz um den Hals, einen Stern an der Seite, und Secretär Wurm treten auf.

 

Präsident

Ein ernsthaftes Attachement! Mein Sohn? - Nein, Wurm, das macht Er mich nimmermehr glauben.

 

Wurm

Ihro Excellenz haben die Gnade, mir den Beweis zu befehlen.

 

Präsident

Daß er der Bürgercanaille den Hof macht - Flatterieen sagt - auch meinetwegen Empfindungen vorplaudert - das sind lauter Sachen, die ich möglich finde - verzeihlich finde - aber - und noch gar die Tochter eines Musikus, sagt Er?

 

Wurm

Musikmeister Millers Tochter.

 

Präsident

Hübsch - Zwar das versteht sich.

 

Wurm

lebhaft

Das schönste Exemplar einer Blondine, die, nicht zu viel gesagt, neben den ersten Schönheiten des Hofes noch Figur machen würde.

 

Präsident

lacht

Er sagt mir, Wurm - Er habe ein Aug auf das Ding - das find' ich. Aber sieht Er, mein lieber Wurm - daß mein Sohn Gefühl für das Frauenzimmer hat, macht mir Hoffnung, daß ihn die Damen nicht hassen werden. Er kann bei Hof etwas durchsetzen. Das Mädchen ist schön, sagt Er; das gefällt mir an meinem Sohn, daß er Geschmack hat. Spiegelt er der Närrin solide Absichten vor? Noch besser - so seh' ich, daß er Witz genug hat, in seinen Beutel zu lügen. Er kann Präsident werden. Setzt er es noch dazu durch? Herrlich! das zeigt mir an, daß er Glück hat. - Schließt sich die Farce mit einem gesunden Enkel - unvergleichlich! so trink' ich auf die guten Aspecten meines Stammbaums eine Bouteille Malaga mehr und bezahle die Scortationsstrafe für seine Dirne.

 

Wurm

Alles, was ich wünsche, Ihr' Excellenz, ist, daß Sie nicht nöthig haben möchten, diese Bouteille zu Ihrer Zerstreuung zu trinken.

 

Präsident

ernsthaft

Wurm, besinn' Er sich, daß ich, wenn ich einmal glaube, hartnäckig glaube; rase, wenn ich zürne - Ich will einen Spaß daraus machen, daß Er mich aufhetzen wollte. Daß Er sich seinen Nebenbuhler gern vom Hals geschafft hätte, glaub' ich Ihm herzlich gern. Da Er meinen Sohn bei dem Mädchen auszustechen Mühe haben möchte, soll Ihm der Vater zur Fliegenklatsche dienen, das find' ich wieder begreiflich - und daß er einen so herrlichen Ansatz zum Schelmen hat, entzückt mich sogar - Nur, mein lieber Wurm, muß Er mich nicht mit prellen wollen. - Nur, versteht Er mich, muß Er den Pfiff nicht bis zum Einbruch in meine Grundsätze treiben.

 

Wurm

Ihro Excellenz verzeihen. Wenn auch wirklich - wie Sie argwohnen - die Eifersucht hier im Spiel sein sollte, so wäre sie es wenigstens nur mit den Augen und nicht mit der Zunge.

 

Präsident

Und ich dächte, sie bliebe ganz weg. Dummer Teufel, was verschlägt es denn Ihm, ob Er die Karolin frisch aus der Münze oder vom Bankier bekommt. Tröst' Er sich mit dem hiesigen Adel - wissentlich oder nicht - bei uns wird selten eine Mariage geschlossen, wo nicht wenigstens ein halb Dutzend der Gäste - oder der Aufwärter - das Paradies des Bräutigams geometrisch ermessen kann.

 

Wurm

verbeugt sich

Ich mache hier gern den Bürgersmann, gnädiger Herr.

 

Präsident

Überdies kann Er mit Nächstem die Freude haben, seinem Nebenbuhler den Spott auf die schönste Art heimzugeben. Eben jetzt liegt der Anschlag im Kabinet, daß, auf die Ankunft der neuen Herzogin, Lady Milford zum Schein den Abschied erhalten und, den Betrug vollkommen zu machen, eine Verbindung eingehen soll. Er weiß, Wurm, wie sehr sich mein Ansehen auf den Einfluß der Lady stützt - wie überhaupt meine mächtigsten Springfedern in die Wallungen des Fürsten hineinspielen. Der Herzog sucht eine Partie für die Milford. Ein Anderer kann sich melden - den Kauf schließen, mit der Dame das Vertrauen des Fürsten anreißen, sich ihm unentbehrlich machen - Damit nun der Fürst im Netz meiner Familie bleibe, soll mein Ferdinand die Milford heirathen - Ist Ihm das helle?

 

Wurm

Daß mich die Augen beißen - - Wenigstens bewies der Präsident hier, daß der Vater nur ein Anfänger gegen ihn ist. Wenn der Major Ihnen eben so den gehorsamen Sohn zeigt, als Sie ihm den zärtlichen Vater, so dürfte Ihre Anforderung mit Protest zurückkommen.

 

Präsident

Zum Glück war mir noch nie für die Ausführung eines Entwurfes bang, wo ich mich mit einem: es soll so sein! einstellen konnte. - Aber seh' Er nun, Wurm, das hat uns wieder auf den vorigen Punkt geleitet. Ich kündige meinem Sohn noch diesen Vormittag seine Vermählung an. Das Gesicht, das er mir zeigen wird, soll Seinen Argwohn entweder rechtfertigen oder ganz widerlegen.

 

Wurm

Gnädiger Herr, ich bitte sehr um Vergebung. Das finstre Gesicht, das er Ihnen ganz zuverlässig zeigt, läßt sich eben so gut auf die Rechnung der Braut schreiben, die Sie ihm zuführen, als derjenigen, die Sie ihm nehmen. Ich ersuche Sie um eine schärfere Probe. Wählen Sie ihm die untadelichste Partie im Lande, und sagt er. Ja, so lassen Sie den Secretär Wurm drei Jahre Kugeln schleifen.

 

Präsident

heißt die Lippen

Teufel!

 

Wurm

Es ist nicht anders! Die Mutter - die Dummheit selbst - hat mir in der Einfalt zu viel geplaudert.

 

Präsident

geht auf und nieder, preßt seinen Zorn zurück

Gut! Diesen Morgen noch.

 

Wurm

Nur vergessen Ew. Excellenz nicht, daß der Major - der Sohn meines Herrn ist!

 

Präsident

Er soll geschont werden, Wurm.

 

Wurm

Und daß der Dienst, Ihnen von einer unwillkommenen Schwiegertochter zu helfen -

 

Präsident

Den Gegendienst werth ist, Ihm zu einer Frau zu helfen? - Auch das, Wurm!

 

Wurm

bückt sich vergnügt

Ewig der Ihrige, gnädiger Herr!

Er will gehen

 

Präsident

Was ich Ihm vorhin vertraut habe, Wurm!

Drohend

Wenn Er plaudert -

 

Wurm

lacht

So zeigen Ihr' Excellenz meine falschen Handschriften auf.

er geht ab

 

Präsident

Zwar bist du mir gewiß! Ich halte dich an deiner eigenen Schurkerei, wie den Schröter am Faden.

 

Ein Kammerdiener

tritt herein

Hofmarschall von Kalb -

 

Präsident

Kommt wie gerufen. - Er soll mir angenehm sein.

Kammerdiener geht

Hofmarschall von Kalb in einem reichen, aber geschmacklosen Hofkleid, mit Kammerherrnschlüsseln, zwei Uhren und einem Degen, Chapeaubas und frisiert à laHérisson. Er fliegt mit großem Gekreisch auf den Präsidenten zu und breitet einen Bisamgeruch über das ganze Parterre. Präsident.

 

Hofmarschall

ihn umarmend

Ah guten Morgen, mein Bester! Wie geruht? wie geschlafen? - Sie verzeihen doch, daß ich so spät das Vergnügen habe - dringende Geschäfte - der Küchenzettel - Visitenbillets - das Arrangement der Partieen auf die heutige Schlittenfahrt - Ah - und dann mußt' ich ja auch bei dem Lever zugegen sein und Seiner Durchleucht das Wetter verkündigen.

 

Präsident

Ja, Marschall, da haben Sie freilich nicht abkommen können.

 

Hofmarschall

Oben drein hat mich ein Schelm von Schneider noch sitzen lassen.

 

Präsident

Und doch fix und fertig?

 

Hofmarschall

Das ist noch nicht Alles. - Ein Malheur jagt heut das andere. Hören Sie nur!

 

Präsident

zerstreut

Ist das möglich?

 

Hofmarschall

Hören Sie nur! Ich steige kaum aus dem Wagen, so werden die Hengste scheu, stampfen und schlagen aus, daß mir - ich bitte Sie! - der Gassenkoth über und über an die Beinkleider spritzt. Was anzufangen? Setzen Sie sich um Gotteswillen in meine Lage, Baron! Da stand ich. Spät war es. Eine Tagreise ist es - und in dem Aufzug vor Seine Durchleucht! Gott der Gerechte! - Was fällt mir bei? Ich fingiere eine Ohnmacht. Man bringt mich über Hals und Kopf in die Kutsche. Ich in voller Carrière nach Haus - wechsle die Kleider - fahre zurück - Was sagen Sie? - und bin noch der erste in der Antichambre - Was denken Sie? -

 

Präsident

Ein herrliches Impromptu des menschlichen Witzes - Doch das beiseite, Kalb - Sie sprachen also schon mit dem Herzog?

 

Hofmarschall

wichtig

Zwanzig Minuten und eine halbe.

 

Präsident

Das gesteh' ich! - und wissen wir also ohne Zweifel eine wichtige Neuigkeit?

 

Hofmarschall

ernsthaft, nach einigem Stillschweigen

Seine Durchleucht haben heute einen Merde d'Oye Biber an.

 

Präsident

Man denke! - Nein, Marschall, so hab' ich doch eine bessere Zeitung für Sie - Daß Lady Milford Majorin von Walter wird, ist Ihnen gewiß etwas Neues?

 

Hofmarschall

Denken Sie! - Und das ist schon richtig gemacht?

 

Präsident

Unterschrieben, Marschall - und Sie verbinden mich, wenn Sie ohne Aufschub dahin gehen, die Lady auf seinen Besuch präparieren und den Entschluß meiner Ferdinands in der ganzen Residenz bekannt machen.

 

Hofmarschall

entzückt

O mit tausend Freuden, mein Bester! - Was kann mir erwünschter kommen? - Ich fliege sogleich -

Umarmt ihn

 

Leben Sie wohl - in drei Viertelstunden weiß es die ganze Stadt.

Hüpft hinaus

 

Präsident

lacht dem Marschall nach

Man sage noch, daß diese Geschöpfe in der Welt zu nichts taugen - - Nun muß ja mein Ferdinand wollen, oder die ganze Stadt hat gelogen.

Klingelt - Wurm kommt

 

Mein Sohn soll hereinkommen.

Wurm geht ab, der Präsident auf und nieder, gedankenvoll

 

Ferdinand, Präsident, Wurm, welcher gleich abgeht.

 

Ferdinand

Sie haben befohlen, gnädiger Herr Vater -

 

Präsident

Leider muß ich das, wenn ich meines Sohns einmal froh werden will - Laß Er uns allein, Wurm! - Ferdinand, ich beobachte dich schon eine Zeitlang und finde die offene rasche Jugend nicht mehr, die mich sonst so entzückt hat. Ein seltsamer Gram brütet auf deinem Gesicht. Du fliehst mich - du fliehst deine Zirkel - Pfui! - Deinen Jahren verzeiht man zehn Ausschweifungen vor einer einzigen Grille. Überlaß diese mir, lieber Sohn! Mich laß an deinem Glück arbeiten und denke auf nichts, als in meine Entwürfe zu spielen. - Komm! umarme mich, Ferdinand!

 

Ferdinand

Sie sind heute sehr gnädig, mein Vater.

 

Präsident

Heute, du Schalk - und dieses Heute noch mit der herben Grimasse? (Ernsthaft.) Ferdinand! - Wem zu lieb hab' ich die gefährliche Bahn zum Herzen des Fürsten betreten? Wem zu lieb bin ich auf ewig mit meinem Gewissen und dem Himmel zerfallen? - Höre, Ferdinand! - Ich spreche mit meinem Sohn - Wem hab' ich durch die Hinwegräumung meines Vorgängers Platz gemacht - eine Geschichte, die desto blutiger in mein Inwendiges schneidet, je sorgfältiger ich das Messer der Welt verberge! Höre! sage mir, Ferdinand! Wem that ich Dies alles?

 

Ferdinand

tritt mit Schrecken zurück

Doch mir nicht, mein Vater? Doch auf mich soll der blutige Widerschein dieses Frevels nicht fallen? Beim allmächtigen Gott! es ist besser, gar nicht geboren zu sein, als dieser Missethat zur Ausrede dienen!

 

Präsident

Was war das? Was? Doch ich will es dem Romanenkopfe zu gut halten! - Ferdinand! - ich will mich nicht erhitzen, vorlauter Knabe - Lohnst du mir also für meine schlaflosen Nächte? Also für meine rastlose Sorge? Also für den ewigen Scorpion meines Gewissens? - Auf mich fällt die Last der Verantwortung - auf mich der Fluch, der Donner des Richters - Du empfängst dein Glück von der zweiten Hand - das Verbrechen klebt nicht am Erbe.

 

Ferdinand

streckt die rechte Hand gen Himmel

Feierlich entsag' ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert.

 

Präsident

Höre, junger Mensch, bringe mich nicht auf! - Wenn es nach deinem Kopf ginge, du kröchest dein Lebenlang im Staube.

 

Ferdinand

O, immer noch besser, Vater, als ich kröch' um den Thron herum.

 

Präsident

verbeißt seinen Zorn

Hum! - Zwingen muß man dich, dein Glück zu erkennen. Wo zehn Andre mit aller Anstrengung nicht hinaufklimmen, wirst du spielend, im Schlafe gehoben. Du bist im zwölften Jahre Fähndrich. Im zwanzigsten Major. Ich hab' es durchgesetzt beim Fürsten. Du wirst die Uniform ausziehen und in das Ministerium eintreten. Der Fürst sprach vom Geheimenrath - Gesandtschaften - außerordentlichen Gnaden. Eine herrliche Aussicht dehnt sich vor dir! - Die ebene Straße zunächst nach dem Throne - zum Throne selbst, wenn anders die Gewalt so viel werth ist, als ihr Zeichen - das begeistert dich nicht?

 

Ferdinand

Weil meine Begriffe von Größe und Glück nicht ganz die Ihrigen sind - Ihre Glückseligkeit macht sich nur selten anders, als durch Verderben bekannt. Neid, Furcht, Verwünschung sind die traurigen Spiegel, worin sich die Hoheit eines Herrschers belächelt. - Thränen, Flüche, Verzweiflung die entsetzliche Mahlzeit, woran diese gepriesenen Glücklichen schwelgen, von der sie betrunken aufstehen und so in die Ewigkeit vor den Thron Gottes taumeln - Mein Ideal von Glück zieht sich genügsamer in mich selbst zurück. In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben. -

 

Präsident

Meisterhaft! Unverbesserlich! Herrlich! Nach dreißig Jahren die erste Vorlesung wieder! - Schade nur, daß mein fünfzigjähriger Kopf zu zäh für das Lernen ist! - Doch - dies seltne Talent nicht einrosten zu lassen, will ich dir Jemand an die Seite geben, bei dem du dich in dieser buntscheckigen Tollheit nach Wunsch exercieren kannst. - Du wirst dich entschließen - noch heute entschließen - eine Frau zu nehmen.

 

Ferdinand

tritt bestürzt zurück

Mein Vater?

 

Präsident

Ohne Complimente. - Ich habe der Lady Milford in deinem Namen eine Karte geschickt. Du wirst dich ohne Aufschub bequemen, dahin zu gehen und ihr zu sagen, daß du ihr Bräutigam bist!

 

Ferdinand

Der Milford, mein Vater?

 

Präsident

Wenn sie dir bekannt ist -

 

Ferdinand

außer Fassung

Welcher Schandsäule im Herzogthum ist sie das nicht! - Aber ich bin wohl lächerlich, lieber Vater, daß ich Ihre Laune für Ernst aufnehme? Würden Sie Vater zu dem Schurken Sohn sein wollen, der eine privilegierte Buhlerin heirathete?

 

Präsident

Noch mehr! Ich würde selbst um sie werben, wenn sie einen Fünfziger möchte - Würdest du zu dem Schurken Vater nicht Sohn sein wollen?

 

Ferdinand

Nein! So wahr Gott lebt!

 

Präsident

Eine Frechheit, bei meiner Ehre! die ich ihrer Seltenheit wegen vergebe -

 

Ferdinand

Ich bitte Sie, Vater! Lassen Sie mich nicht länger in einer Vermuthung, wo es mir unerträglich wird, mich Ihren Sohn zu nennen.

 

Präsident

Junge, bist du toll? Welcher Mensch von Vernunft würde nicht nach der Distinction geizen, mit seinem Landesherrn an einem dritten Orte zu wechseln?

 

Ferdinand

Sie werden mir zum Räthsel, mein Vater. Distinction nennen Sie es - Distinction, da mit dem Fürsten zu theilen, wo er auch unter den Menschen hinunterkriecht?

 

Präsident

schlägt ein Gelächter auf

 

Ferdinand

Sie können lachen - und ich will über das hinweggehen, Vater. Mit welchem Gesicht soll ich unter den schlechtesten Handwerker treten, der mit seiner Frau wenigstens doch einen ganzen Körper zum Mitgift bekommt? Mit welchem Gesicht vor die Welt? Vor den Fürsten? Mit welchem vor die Buhlerin selbst, die den Brandflecken ihrer Ehre in meiner Schande auswaschen würde?

 

Präsident

Wo in aller Welt bringst du das Maul her, Junge?

 

Ferdinand

Ich beschwöre Sie bei Himmel und Erde! Vater, Sie können durch diese Hinwerfung Ihres einzigen Sohnes so glücklich nicht werden, als Sie ihn unglücklich machen. Ich gebe Ihnen mein Leben, wenn das Sie steigen machen kann. Mein Leben hab' ich von Ihnen, ich werde keinen Augenblick anstehen, es ganz Ihrer Größe zu opfern. - Meine Ehre, Vater - wenn Sie mir diese nehmen, so war es ein leichtfertiges Schelmenstück, mir das Leben zu geben, und ich muß den Vater wie den Kuppler verfluchen.

 

Präsident

freundlich, indem er ihn auf die Achsel klopft

Brav, lieber Sohn. Jetzt seh' ich, daß du ein ganzer Kerl bist und der besten Frau im Herzogthum würdig. Sie soll dir werden - noch diesen Mittag wirst du dich mit der Gräfin von Ostheim verloben.

 

Ferdinand

aufs Neue betreten

Ist diese Stunde bestimmt, mich ganz zu zerschmettern?

 

Präsident

einen lauernden Blick auf ihn werfend

Wo doch hoffentlich deine Ehre nichts einwenden wird?

 

Ferdinand

Nein, mein Vater! Friederike von Ostheim könnte jeden Andern zum Glücklichsten machen.

Vor sich in höchster Verwirrung

Was seine Bosheit an seinem Herzen noch ganz ließ, zerreißt seine Güte.

 

Präsident

noch immer kein Auge von ihm wendend

Ich warte auf deine Dankbarkeit, Ferdinand -

 

Ferdinand

stürzt auf ihn zu und küßt ihm feurig die Hand

Ihre Gnade entflammt meine ganze Empfindung - Vater! meinen heißesten Dank für Ihre herzliche Meinung - Ihre Wahl ist untadelhaft - aber - ich kann - ich darf - bedauern Sie mich - ich kann die Gräfin nicht lieben!

 

Präsident

tritt einen Schritt zurück

Holla! Jetzt hab' ich den jungen Herrn! Also in diese Falle ging er, der listige Heuchler - Also es war nicht die Ehre, die dir die Lady verbot? - Es war nicht die Person, sondern die Heirath, die du verabscheutest? -

 

Ferdinand

steht zuerst wie versteinert, dann fährt er auf und will fortrennen

 

Präsident

Wohin? Halt! Ist das der Respect, den du mir schuldig bist?

Der Major kehrt zurück

 

Du bist bei der Lady gemeldet. Der Fürst hat mein Wort. Stadt und Hof wissen es richtig. - Wenn du mich zum Lügner machst, Junge - vor dem Fürsten - der Lady - der Stadt - dem Hof mich zum Lügner machst - Höre, Junge - oder wenn ich hinter gewisse Historien komme? - Halt! Holla! Was bläst so auf einmal das Feuer in deinen Wangen aus?

 

Ferdinand

schneeblaß und zitternd

Wie? Was? Es ist gewiß nichts, mein Vater!

 

Präsident

einen fürchterlichen Blick auf ihn heftend

Und wenn es was ist - und wenn ich die Spur finden sollte, woher diese Widersetzlichkeit stammt - - Ha, Junge! der bloße Verdacht schon bringt mich zum Rasen! Geh den Augenblick! Die Wachtparade fängt an! Du wirst bei der Lady sein, sobald die Parole gegeben ist - Wenn ich auftrete, zittert ein Herzogthum. Laß doch sehen, ob mich ein Starrkopf von Sohn meistert.

Er geht und kommt noch einmal wieder

 

Junge, ich sage dir, du wirst dort sein, oder fliehe meinen Zorn!

Er geht ab

 

Ferdinand

erwacht aus einer dumpfen Betäubung

Ist er weg? War das eines Vaters Stimme? - Ja! ich will zu ihr - will hin - will ihr Dinge sagen, will ihr einen Spiegel vorhalten - Nichtswürdige! und wenn du auch noch dann meine Hand verlangst - Im Angesicht des versammelten Adels, des Militärs und des Volks - Umgürte dich mit dem ganzen Stolz deines Englands - Ich verwerfe dich - ein deutscher Jüngling!

Er eilt hinaus

 

 


Date: 2015-12-11; view: 774


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