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Die normative Ethik

 

Sie versucht, moralische Normen aufzustellen und zu begründen und ist damit zweifellos die wichtigste Disziplin. Sie untersucht Fragen wie: Was ist gut, und was ist schlecht? Welche Handlungen soll man ausführen, und welche soll man unterlassen? Welche Handlungen sind richtig, und welche sind verboten? Ist Stehlen immer etwas Schlechtes? Darf man in gewissen Situationen lügen?

 

Dabei werden zwei Theoriebereiche unterschieden: a) Theorie des rechten Handelns, b) Theorie des Guten (Werttheorie).

 

(2) Die Meta-Ethik (analytische Ethik)

 

Vom übergeordneten Standpunkt einer Meta-Sprache untersucht diese Fragen wie: Welche Bedeutung haben die moralischen Begriffe »gut« und »böse«? Was ist die Funktion von Moralurteilen und ethischen Normen?

 

(3) Die empirisch-deskriptive Ethik

 

Sie gehört eigentlich nicht zur Philosophie, sondern in die Kompetenz von Historikern, Soziologen und Psychologen, eventuell Ethnologen (Völkerkundlern) und Ethologen (Verhaltensforschern; moralanaloges Verhalten von Tieren!). Die beschreibende Ethik beschäftigt sich mit Fragen wie: Was hat dieser oder jener Mensch, diese oder jene Gesellschaft für Moralvorstellungen? Was ist die Auffassung der katholischen Kirche über den Tyrannenmord? Wie rechtfertigt der Islam den “Heiligen Krieg”?

Meta-Ethik und empirische Ethik untersuchen moralische Normen, stellen aber keine solchen auf. Es gab auch Philosophen (etwa des Wiener Kreises), die Ethik auf eine empirische Ethik reduzieren wollten, weil sie glaubten, dass ethische Probleme nicht wissenschaftlich behandelbar seien. Heute werden die normative sowie die Meta-Ethik sehr wohl wissenschaftlich betrieben. Es gibt sogar eine eigene Logik, mit deren Hilfe der Zusammenhang von Normen untersucht wird. Der Auffassung, dass ethische Probleme nicht wissenschaftlich untersucht werden könnten, lag die Meinung zugrunde, dass ethische Werturteile keine Aussagen seien, sondern lediglich Sätze, die einen inneren Zustand ausdrücken, nämlich Zustimmung oder Ablehnung wie “Pfui, stehlen!”.

 

Grundlegung (Verankerung) moralischer Normen

 

Da die Aufzählung moralischer Gebote willkürlich sein und endlos fortgeführt werden kann, scheint es vorteilhaft, ein oder zwei grundlegende Normen (ethische Prinzipien) anzugeben, aus denen die anderen abgeleitet werden können. Das war ja einer der Gründe, warum Kant versuchte, ein allgemeines Prinzip für moralisches Handeln aufzustellen. Bei einer solchen apriorischen Begründung der Ethik bleiben freilich konkrete Lebensbedingungen unberücksichtigt. Auch werden Normen, welche die menschliche Triebstruktur nicht berücksichtigen und den Menschen überfordern, häufig nicht eingehalten.

 

Für jemanden, der ungefragt eine heteronome Moral (z.B. “die 10 Gebote Gottes”) akzeptiert, stellt sich die Frage einer Begründung nicht. Doch aus der Sicht einer Ethik als Wissenschaft ist es unabdingbar, moralische Normen zu “verankern”.



 

Der Kognitivismus (cognitio, lat. = Erkenntnis) hält ethische Sätze für beschreibende Aussagen, die wahr oder falsch sind. Zwei Standpunkte sind unterscheidbar: der Reduktionismus und der Intuitionismus.

 

Der Reduktionist hält die praktischen Sätze der Ethik für verkleidete Aussagen (Sätze mit Wahrheitswert). »X ist gut« bedeutet »X bereitet Lust« (Hedonismus). »Die Handlung ist richtig« bedeutet dasselbe wie »Die Mehrheit billigt die Handlung« Der metaphysische Reduktionismus besagt z.B. »X ist gut« bedeute soviel wie »Gott befiehlt, X zu verwirklichen«.

 

Der Intuitionist vertritt die Meinung, moralische Prinzipien seien nur subjektiv-willkürlich und irrational, nicht objektiv-wissenschaftlich und rational zu verankern. Ethische Sätze können daher auch nicht intersubjektiv kritisiert werden. Sie sind Aussagen über moralische Fakten, die aber nur durch Intuition (Wesensschau), Evidenz (unmittelbare Einsicht) oder über das Gewissen erfasst werden können.

 

Wenn die kognitivistischen Positionen verworfen werden, bleibt als Alternative der Non-Kognitivismus. Danach beschreiben Normen keine Tatsachen. Sie sind keine Aussagen und daher auch nicht wahr oder falsch, sondern eher gut und zweckmäßig oder schlecht und unzweckmäßig. Ich kann nicht sinnvoll sagen “‘Du sollst nicht töten!‘ ist wahr.” Es ist dies eben kein Indikativsatz, sondern ein Imperativ, der in menschlichen Gesellschaften zweckmäßig und daher gut erscheint. Auch beim Non-Kognitivismus können zwei Positionen unterschieden werden: der Präskriptivismus und der Emotivismus. Nach ersterem haben Normen nur vorschreibende Funktion (“Du sollst nicht stehlen!”), nach letzterem sind Moralnormen lediglich Ausdruck von Gefühlen der Zustimmung oder Ablehnung (“Pfui, stehlen!”).

 

Seit David Hume wissen wir, dass aus Aussagen keine Normen abgeleitet werden können und daher eine logische Verankerung von Normen nicht möglich ist. Dennoch müssen (und dürfen!) moralische Normen nicht völlig willkürlich sein. Wie also können ethische Normen rational begründet werden? Nun, indem bestimmte Ziele und Basisnormen durch Übereinkunft festgesetzt werden. Diese Konventionen sind nicht beliebig, sondern stehen am Ende eines Entscheidungsprozesses. Die getroffenen (vernünftigen) Entscheidungen können aufgrund neuer Erfahrungen immer wieder in Frage gestellt und revidiert werden. Eine solche Begründung ethischer Normen ist zwar nicht logisch, aber dennoch rational. Und da somit ethische Normen Ergebnisse von Konventionen sind, ergibt sich daraus die Forderung nach Toleranz gegenüber anderen Letztzielen und daraus resultierenden Moralvorstellungen.

 

Wenn auch aus dem Sein des Menschen nicht - wie dies die Naturrechtslehre tut - deduziert werden kann, wie er sich verhalten soll, so können doch auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse z.B. über die Triebstruktur des Menschen oder darüber wie höhere Tiere ihr moralanaloges Sozialverhalten regeln, indirekt Normen abgeleitet werden: Wenn dieses oder jenes Ziel erreicht werden soll, dann müssen wir uns so oder so verhalten. Beispiel: Wenn die Freiheit des einzelnen in Bezug auf seine Bedürfnisbefriedigung möglichst groß sein soll, so muss jeder sich so weit einschränken, dass die Freiheit des anderen möglichst wenig beeinträchtigt wird.

 

Die obersten Ziele und Normen

 

Da oberste Ziele und Normen einer Moral auf Übereinkunft beruhen, ist verantwortungsvolle Gewissensentscheidung nicht nur bei persönlichen moralischen Entscheidungen in bestimmten Situationen und bei der Festsetzung von Rechtsnormen notwendig, sondern schon bei der moralischen Grundsatzentscheidung in Bezug auf ethische Sätze. Die festzusetzenden obersten Ziele, die in einer Gesellschaft erreicht werden sollen, müssen von möglichst vielen Menschen akzeptiert werden können. Festzusetzende Normen dienen dazu, dieses Ziel zu erreichen.

 

Der österreichische Philosoph Victor Kraft, Mitglied des Wiener Kreises, hält optimale Begehrensbefriedigung und optimales Funktionieren der Gesellschaft für zwei oberste Ziele, die jeder einsichtige Mensch aufgrund seiner Triebstruktur wollen muss. In Einsicht der Zweckmäßigkeit dieser Ziele muss jeder auch erkennen, dass eine Selbstbeschränkung notwendig ist, um diese Ziele zu erreichen und auch selbst den größtmöglichen Vorteil bei der Befriedigung seiner Wünsche zu haben. Lustgewinn und Egoismus sind so mit Altruismus durchaus vereinbar. Bei der Festsetzung oberster Ziele kann man verschieden vorgehen:

 

Man trifft eine Mehrheitsentscheidung. Diesen Weg, den Kraft beschritten hat, ist für den österreichischen Ethiker Edgar Morscher bedenklich, weil hier eine Mehrheit Recht dekretiert. Das kann zu ungerechten Gesetzen führen. Er hält deshalb eine andere Option für günstiger:

 

Man frage sich, ob man das Ziel auch in jeder möglichen Rolle, die man spielen könnte, akzeptieren würde. Ein Konsens darüber ist notwendig.

 

Ähnlich schlägt der amerikanische Ethiker John Rawls vor, sich in einem Gedankenexperiment vorzustellen, dass wir kein Wissen über unsere eigene Position in der Gesellschaft hätten. Er nennt dies den “Schleier des Nichtwissens”. Ich tue so, als wüsste ich nicht, ob ich gesund oder krank, reich oder arm, weiblich oder männlich usw. bin und frage mich dann, ob ich dennoch eine bestimmte Norm befürworten würde. Wenn ich z.B. nicht weiß, ob ich Frau oder Mann bin, werde ich wohl für Gleichberechtigung eintreten.

 

Der deutsche Wissenschaftsphilosoph Franz von Kutschera schlägt ein ethisches Grundgesetz vor, das folgende Frage beantwortet: Was sollen wir tun angesichts der Tatsache, dass andere von unseren Handlungen betroffen sind? Ein sich daraus ergebendes Prinzip der Ethik könnte dann lauten: Nimm bei jeder Entscheidung Rücksicht auf die Interessen aller davon Betroffenen. Dabei muss der andere als Person und seine Menschenwürde geachtet werden. Die Überzeugung, dass alle Menschen prinzipiell die gleiche personale Würde haben, ist nicht selbstverständlich, wie Folter, Sklavenhalterei, Kinderarbeit, Frauenfeindlichkeit, Rassendiskriminierung und Fremdenhass zeigen.

 

Ein wesentlicher Grundsatz der Verallgemeinerung ist das Prinzip der Fairness : Es dürfen nicht nur Vorteile beansprucht und die Opfer anderen aufgebürdet werden. Vor- und Nachteile, die sich aus Vorschriften ergeben, müssen gerecht verteilt sein. Die Menschen müssen in ähnlichen Situationen gleich behandelt werden.

 

Gerechtigkeit und Fairness sind neben der Achtung der personalen Würde jedes Menschen (auch einer künftigen Generation!) Bausteine einer grundlegenden Theorie der Moral.

 

Ein Problem ist die Durchsetzbarkeit moralischer Normen in der Praxis. Es wird immer Menschen geben, denen der (oft kurzfristige) eigene Vorteil wichtiger ist als die Einhaltung von Gesetzen oder gar bloß moralischer Normen, deren Durchsetzung nicht durch Sanktionen erzwungen werden kann.

 

Normative Ethik

 

In der Normativen Ethik geht es um die Frage »Was soll ich tun, um moralisch richtig zu handeln?« Die deontologische Theorie (deon, gr. = das Gesollte, die Pflicht) oder Gesinnungsethik beurteilt eine Handlung nach der ihr zugrunde liegenden Gesinnung, die teleologische Theorie (telos, gr. = Ziel) oder Erfolgsethik nach deren Erfolg.

 

Vor Gericht sind beide Aspekte zu berücksichtigen, sonst wäre ja Mord von Totschlag oder gar unabsichtlicher Tötung (etwa im Straßenverkehr) nicht unterscheidbar.

Eine besondere Form der Erfolgsethik ist der Utilitarismus: Gut ist, was nützt. Wobei der Egoist nur an seinen Nutzen denkt, der Altruist aber v.a. das Wohl der anderen im Auge hat. Die Evolutionäre Ethik zeigt, dass altruistisches Handeln einem (vorausschauenden) Egoismus entspringen kann, weil der einzelne (gemäß der Goldenen Regel) erwarten darf, vom anderen in einer ähnlichen Situation auch entsprechend behandelt zu werden.

 

Das Gewissen

 

In Zusammenhang mit moralischen Wertungen ist das Phänomen des Gewissens ein vieldiskutiertes ethisches Problem.

 

In der theologischen Ethik ist das Gewissen häufig als “Stimme Gottes” gedeutet worden. Nach Sigmund Freud ‑ teilweise auch nach Viktor FRANKL ‑ ist das Gewissen vor allem Produkt der Erziehung und sozialen Umwelt. Im Zuge der Sozialisierung entwickelt das Kind Gewissen und Schuldbewusstsein: Verstößt es gegen die übernommenen Normen, so hat es ein schlechtes Gewissen und fühlt sich schuldig. Ein Gewissenskonflikt entsteht aus der Unvereinbarkeit zweier sittlichen Ansprüche.

 

Eine Gewissensentscheidung ist immer persönlich und muss aus der Sicht der Gesamtgesellschaft nicht unbedingt zu deren Wohl sein. Eine für andere schlechte Handlung wird nicht dadurch gut, dass der Handelnde von ihrer Richtigkeit überzeugt ist.

 

Zweifellos also ist das Gewissen der Menschen (abhängig von der jeweils gültigen Moral) historisch und soziokulturell mitbedingt. Nicht überall gelten dieselben Taten als “gut” und “böse”. Die christliche Religion verbietet den Selbstmord, während im Altertum die Stoiker für den Freitod eintraten.

 

Das Gewissen kann äußerst unterschiedlich ausgeprägt sein. Der eine hat ein skrupelhaftes Gewissen, der zweite ein laxes und der dritte scheinbar überhaupt keines. Er handelt “gewissenlos”. Ein Mensch, der außerhalb der Normen seiner Gesellschaft steht, hat auch keine ”Gewissensbisse”, wenn er diese Normen verletzt. Dennoch kann sich auch bei ihm das Gewissen regen, wenn er gegen die von ihm akzeptierten Normen einer Subkultur, etwa gegen die Normen der “Gano-venehre” (z.B. den Moralcodex der Mafia), verstößt.

 

Zu den traurigsten, aber leider unleugbaren Erfahrungen unseres Jahrhunderts gehört die Tatsache, dass das Gewissen durch Indoktrination (massive, psychologische Mittel nützende Beeinflussung einzelner oder ganzer Gruppen), entsprechenden Drill oder Drogen vernichtet werden kann.

Das Problem der Willensfreiheit

 

Der Begriff »Freiheit« ist vieldeutig. Wir sprechen von einer politischen, sittlichen oder psychologischen Freiheit. Letztere ist die Willensfreiheit. von der allein hier die Rede sein soll. Die Frage, ob der Wille des Menschen frei sei, lautet exakt formuliert, ob er in einer gegebenen Situation sich für jede beliebige Wahlmöglichkeit entscheiden kann oder nicht.

 

Der Indeterminismus behauptet, dass wir in unseren Entscheidungen (mehr oder weniger) frei sind. Freiheitsgefühl (das Gefühl, auch anders handeln zu können), die Gefühle von Verantwortung, Reue und Schuld seien ohne Willensfreiheit sinnlos. Allerdings ist das Verantwortungsgefühl eher ein Motiv für unser Handeln als das Resultat freien Wollens. Und reuige Selbstvorwürfe richten sich gegen die Umstände, die zu einer bestimmten Entscheidung geführt haben.

 

Argumente für einen “wohlverstandenen” Determinismus

 

Richtig ist zwar, dass der Indeterminismus strenggenommen nicht widerlegbar ist, da die Faktoren, die eine bestimmte Handlung determinieren, niemals vollständig aufweisbar sind. Die seelischen Prozesse sind zu komplex. Es gibt jedoch gewichtige empirische Argumente und Überlegungen, die eher für einen wohlverstandenen Determinismus sprechen, also dafür, dass wir frei nur in einem gewissen eingeschränkten Sinne handeln können:

 

Getrennt aufgewachsene eineiige Zwillinge zeigen verblüffend ähnliche Verhaltensweisen und Vorlieben. Vermutlich ist ein viel größerer Teil unserer Entscheidungen genetisch vorprogrammiert, als wir gemeinhin denken. Vielleicht ist unser Vertrauen in unsere Willensfreiheit auch deshalb so groß und unerschütterlich, weil uns die Begegnung mit einem erbgleichen Doppelgänger in aller Regel erspart bleibt.

 

Wenn das Denken untrennbar mit chemischen und physikalischen Gehirnprozessen verknüpft ist – und daran ist ja wohl nicht zu zweifeln –, muss der strengen logischen Struktur des Denkens eine ebenso streng kausal bestimmte Folge materieller Prozesse entsprechen. So konnte nachgewiesen werden, dass etwa die Absicht, einen Finger zu krümmen, 0,2 Sekunden vor der entsprechenden Muskelbewegung im Gehirn existiert, dass jedoch die dazugehörigen Hirnströme bereits 0,4 Sekunden vor der Handlung nachweisbar sind. Bereits eine Fünftelsekunde bevor die Handlung bewusst wird, “beschließt” also eine Planungsstelle im Großhirn, den Finger zu krümmen. Möglicherweise “befürwortet” unser Bewusstsein nur noch Entscheidungen, die irgendwo im Gehirn längst gefällt wurden.

 

Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang die Untersuchungen an Patienten mit gespaltenem Großhirn, wo beide Hemisphären getrennt arbeiten. Sperry: “Die Tatsache, dass zwei freie Willen innerhalb desselben Schädels wohnen, erinnert uns daran und verstärkt die Vermutung, dass der freie Wille eine Illusion ist, wie das Auf- und Untergehen der Sonne. Je mehr wir über Hirn und Verhalten lernen, umso deterministischer, gesetzmäßiger und kausaler erscheint es uns.”

 

Ein wirklich freier Wille würde dazu führen, dass wir uns auf niemanden mehr verlassen könnten. Ohne die Möglichkeit der Erwartung bestimmten Verhaltens anderer Menschen wüssten wir nicht, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen sollten.

 

Eines ist freilich wahr: Es sind meine ureigenen Gefühle, Bedürfnisse oder Interessen, die als Motiv zu einer Wahlentscheidung führen. Immer bin ich durch Motive bestimmt, sonst könnte ich überhaupt nicht zu einer Entscheidung kommen. Ein strenger Freiheitsbegriff – in jeder Wahlsituation jede beliebige, jede denkbare Verhaltensmöglichkeit wählen zu können – ist offensichtlich unsinnig. Denn ich kann ja nicht wollen, dass irgendein - zufälliges - Motiv zum Zug kommt. Wir wählen vielmehr jene Handlung, die unserer Persönlichkeit am besten entspricht. Freiheit besteht höchstens in dem Sinne, dass der Mensch nur durch sich selbst, nicht durch äußere Umstände determiniert ist; als Entschluss kommt das heraus, was ich will. Diese Auffassung ist nicht mit dem Fatalismus zu verwechseln. Dieser erklärt, dass alles Geschehen außerhalb der menschlichen Kontrolle liege und dass sich alles in vorbestimmter Weise ereigne, was wir auch unternehmen mögen. Der wohlverstandene Determinismus hingegen lehrt, dass wir sehr wohl zur Ursache von Ereignissen werden können; der Mensch erfährt sich als Verursacher und fühlt sich daher frei. Und er ist in seinen Handlungen auch meist frei, frei nämlich von äußerem Zwang. Echte Freiheit besteht darin, nicht von außen, sondern von innen her durch uns selbst bestimmt zu sein. Der Begriff des Determinismus darf nicht mit dem der Unfreiheit verwechselt werden.

 

Strafrecht und deterministisches Weltbild

 

Da unser Strafrecht in seiner heutigen Form weitgehend auf der Ideologie des freien Willens aufbaut, ist zu klären, wie Strafe im Rahmen eines indeterministischen Weltbildes zu deuten ist. Der Rechtsbrecher wird nach allgemeiner Auffassung ja für sein freiwillig böses Wollen bestraft. Nur wenn er eine Handlung ”freiwillig” ausgeführt hat, also nicht etwa im Affekt oder aus einem abartigen Trieb heraus, kann der Mensch für seine Tat zur Verantwortung gezogen werden. Wenn jemand so handeln musste, wie er es getan hat, so kann man ihn für seine Tat nicht zur Rechenschaft ziehen. Genau genommen verlieren in einem deterministischen Weltbild “Schuld” und “Strafe” als Vergeltungsmaßnahme oder Rache ihren Sinn. Ohne Schuldvorwurf kann aber niemand bestraft werden. Allerdings kann es sehr notwendig sein, die Gesellschaft vor ihm als Ursache eines Übels oder Leids durch entsprechende Maßnahmen zu schützen. An die Stelle eines Strafrechts (= Vergeltungsrecht) hat ein Besserungsrecht sowie ein Schutz- und Bewahrungsrecht zu treten. Mittels geeigneter Maßnahmen soll das gesellschaftsschädigende Verhalten des Delinquenten zu einem gesellschaftsfreundlichen umgewandelt werden. Wieweit es im Erwachsenenalter noch möglich ist, Erziehungsfehler oder gar charakterliche Anlagen zu korrigieren, ist freilich eine andere Frage. Strafe als Erziehungsmaßnahme ist auch dann sinnvoll, wenn es keinen freien Willen gibt, doch hat sie Zukunftssinn und ist keine Vergeltung. Von diesem Standpunkt aus ist es unmöglich, die Todesstrafe zu rechtfertigen. Sie hat keinen Zukunftssinn: weder für den Delinquenten noch als Abschreckung für andere potentielle Straftäter, wie Kriminalstatistiken belegen.

 

Ein Staat, der tötet, signalisiert seinen Bürgern, dass menschliches Leben nicht unbedingt schützenswert ist

Ein Staat, der tötet, trägt zur Verrohung der Sitten bei

Ein Staat, der tötet, erhöht nachweislich die Zahl der Gewaltverbrechen

Ein Staat, der tötet, richtet immer auch Unschuldige hin

Ein Staat, der tötet, befriedigt die perversen Bedürfnisse von Spießern

Ein Staat, der tötet, erhebt die Blutrache zum gesellschaftlichen Prinzip

Ein Staat, der tötet, stellt sich auf die gleiche moralische Stufe wie seine Mörder

Ein Staat, der tötet, muss mit Hilfe der Weltgemeinschaft aus dem Neandertal geführt werden

(aus dem Internet)

 

4. Biologie und Ethik

Spätestens mit dem Abwurf der ersten Atombombe hat die Naturwissenschaft “ihre Unschuld verloren”. Das bedeutet, dass der Wissenschaftler für mögliche Anwendungen seiner Forschungsergebnisse mitverantwortlich ist. Heute sind es vor allem auch Biologen und Mediziner, die mit Erkenntnissen aufwarten können, deren Anwendung mitunter ethisch bedenklich oder gefährlich sein könnte. Es ist daher notwendig, unsere moralischen Normen den technischen Möglichkeiten anzupassen und zu überlegen, ob – und wenn ja, wie weit – diese durch entsprechende juridische Maßnahmen eingeengt werden müssen.

 

Bioethik

 

Die Bioethik behandelt neben medizinischen Fragen wie Euthanasie, Schwangerschaftsabbruch usw. auch die Problematik technischer Eingriffe in die menschliche Fortpflanzung (Stichwort “Retortenbaby”) oder Manipulation am menschlichen Erbgut (Gen-Ethik).

Beispiel: Kind mit 5 Elternteilen

 

Wie sollen wir das folgende “Rezept” bewerten: Man nehme eine menschliche Eizelle, die auf operativem Wege dem Eierstock von Frau A entnommen wurde, befruchte sie mit dem Sperma von Herrn B, verpflanze den so entstandenen Embryo (vielleicht nach einer mehrjährigen Lagerzeit in einem Gefrierbehälter) in die Gebärmutter von Frau C und lasse das nach neun Monaten geborene Kind vom Ehepaar D & E adoptieren.

 

Die Frage, ob eine solche Vorgangsweise, die einem Kind fünf “Elternteile” beschert, zulässig ist, macht klar, dass sich Wissenschaft und Technik - wieder einmal - schneller entwickelten als unsere moralischen Normen: wir können etwas tun, ohne zu wissen, ob wir es tun sollen oder dürfen. Das führt uns zur Frage: Hat die Bewertung einer Ethik sich an den außermoralischen Folgen zu orientieren, die ihre Anwendung mit sich bringen würde?

 

Der teleologisch orientierte Konsequenzethiker (in seinem Glauben, dass eine Entwicklung von vornherein zweckmäßig sei) wird dies bejahen. Er wird zunächst vor allem die positiven Konsequenzen betonen, so die Überwindung psychisch belastender Unfruchtbarkeit oder die Verminderung von Erbkrankheiten. Es gibt aber auch Einwände: So können bei der In-Vitro-Fertilisation (Reagenzglaszeugung) auch Pannen auftreten, die ein erhöhtes Schädigungsrisiko bedeuten. Auch Missgriffe bis hin zur Menschenzüchtung durch Genmanipulation wären denkbar.

 

Bereits Tatsache ist die Kommerzialisierung der Reproduktionstechnologie, etwa in Form der Ammenschwangerschaft, bei der “Leihmütter” einen fremden Embryo für ein (unfruchtbares) Ehepaar austragen. In etlichen Ländern, so auch in Österreich, ist diese Praktik inzwischen verboten.

 

Der Deontologe (mit seiner Gesinnungsethik) wird darauf hinweisen, dass es Handlungen gibt, die auch dann unmoralisch sind, wenn sie keine negativen Konsequenzen haben. So seien Klonieren (das Züchten erbidentischer Mehrlinge) oder Chimärenbildung (Erzeugung von Mischwesen) beim Menschen Techniken, die in besonders schwerwiegender Weise gegen die Menschenwürde verstoßen.

 

Den beiden Standpunkten liegen zwei grundverschiedene Menschenbilder zugrunde.

 

· Der Konsequenzethiker betont die menschliche Selbstbestimmung. Der Mensch kann in freier Entscheidung über sein Schicksal verfügen.

 

Aufgabe der Ethik ist es, diese Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu fördern: Die Ethik ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Ethik.

 

· Der Deontologe glaubt an die Begrenztheit dieser Autonomie. Der Mensch ist durch Gott oder die Natur festgelegt. Ethik hat diese Grenzen bewusst zu machen.

Wir haben zwischen den beiden Standpunkten zu wählen. Einen “archimedischen Punkt” gibt es nicht, es gibt keine “richtige” Lösung. Lösungen ethischer Probleme müssen in rationaler Diskussion erarbeitet werden.

 

Ökethik

Die Ökethik oder Ökologische Ethik, auch Umweltethik, befasst sich mit moralischen Belangen von Umweltschädigungen durch den Menschen: Die Menschheit ist dabei, ihre eigene Lebensgrundlage auf dem Planeten Erde zu zerstören. Eine Rettung aus der Krise ist nur möglich, wenn die angemaßte Sonderstellung des Menschen gegenüber der Natur aufgegeben wird zugunsten eines Konzepts, in dem der Mensch sich als Teil der Natur versteht und als solcher sich einzugliedern bereit ist. Der Ökethik geht es primär um die Frage, wie weit Menschen für die (v.a. belebte) Natur mitverantwortlich sind.

 

Evolutionäre Ethik

 

Die Evolutionäre Ethik geht davon aus, dass nicht nur unsere kognitiven Strukturen im Zuge der Evolution entstanden sind (was die Evolutionäre Erkenntnistheorie untersucht), sondern auch zahlreiche Verhaltensweisen. Viele Neigungen und Handlungsweisen sind genetisch determiniert. Unsere Antriebe oder Fähigkeiten zur sozialen Organisation sind zu einem guten Teil biologisches Erbe, das durch Erziehung und soziales Lernen nicht beliebig zu überspielen ist. Statt von einer extremen ”Formbarkeit” des Menschen auszugehen, müsse man – so meinen die Vertreter der Evolutionären Ethik – mit Grenzen dieser Formbarkeit und auch Belastbarkeit durch moralische Vorschriften rechnen.

 

Die Grenzen der Kulturfähigkeit seien darauf zurückzuführen, dass unsere unbewusste Natur im wesentlichen eine Anpassung an die Lebensverhältnisse des frühen Menschen als Jäger und Sammler und später als Ackerbauer und Viehzüchter darstelle. Was aber früher zweckmäßig gewesen sein mag, kann heute unvernünftig sein; was früher Überleben garantierte, mag heute Chaos und Ende bedeuten. Hans Mohr: “Die pathologische Sorglosigkeit, mit der wir uns unsinnig weiter vermehren und den Planeten vollends ausplündern, ist biologisches Erbe: Wir verstehen nicht, was wir tun.”

 

Wir müssen versuchen, die angeborenen Verhaltensweisen durch Vernunft und Moral stärker zu zügeln und zu kanalisieren, als dies bisher geschehen ist. Denn ohne praktische Vernunft und ohne Einsicht in die Notwendigkeit einer Traditionsanpassung werden wir die Erde als Lebensraum zerstören. Wir müssen den Spielraum, den uns die Gene lassen, besser nützen.

 

Bei der Konzeption einer Ethik müssen diese biologisch-genetisch-evolutiven Tatsachen genauso berücksichtigt werden wie andere Fakten einer Deskriptiven Ethik.

 

Evolutionäre Ethik

Moralisches Verhalten ist wie Erkennen evolutionär bedingt und im Tierreich als moralanaloges Verhalten vorgegeben.

Eine (idealistische) Ethik, welche die menschliche Natur nicht berücksichtigt, ist zum Scheitern verurteilt.

Tiere kooperieren aus egoistischen Gründen, weil sie aus einem solchen Verhalten Vorteile ziehen (reziproker Altruismus).

Altruismus ist auf Egoismus zurückführbar. Moral soll Harmonie zwischen Egoismus und Altruismus herstellen.

Wir müssen versuchen, die angeborenen Verhaltensweisen zu kanalisieren und den Spielraum, den uns die Gene lassen, besser nützen.

Die Einsicht, Angehörige einer Spezies zu sein, sollte zu einer globalen Ethik führen und zur Idee der Mitmenschlichkeit.

Zu fordern ist eine Ethik, die das Überleben der Menschheit in Würde zum Ziel hat.

 

5. Brauchen wir eine neue Moral?

 

Lüge, Bestechung, “Freunderlwirtschaft” scheinen in vielen Lebensbereichen gang und gäbe zu sein. Nicht nur in der Politik, sondern auch im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft gab es immer schon Leute, die sich auf Kosten anderer bereichert und sich damit in den Augen der meisten Menschen ”unmoralisch” verhalten haben.

 

Mit “ohnmächtiger Wut” müssen wir zusehen, wie “wirtschaftliche Zwänge” zu systematischer Zerstörung von Lebensgrundlagen führen: die Regenwälder werden abgeholzt, die Meere verseucht, Boden und Trinkwasser vergiftet, die Luft verpestet und die Ozonschicht zerstört. Dies geschieht zwar meist nicht in böser Absicht – von bewusstem Öko-Terror und Ökokrieg abgesehen ‑ aber doch wissentlich. Letztlich geht es stets um Geld und Macht. Man denke auch an das weltweit blühende Waffengeschäfte, das immer wieder zu Kriegen führt.

 

Ein anderes höchst virulentes Phänomen ist der Drogenhandel, durch den zahllose Menschen ganz bewusst ins Unglück gestürzt werden.

 

Angesichts solcher Fakten fragt man sich, ob der Mensch überhaupt zu moralischem Verhalten fähig ist oder mit welchen Mitteln solches „erzwungen” werden könnte. Zumindest aber wird eine Rückkehr zu „alten” Werten beschworen bzw. die Forderung nach einer „neuen Moral” erhoben (wie immer, wenn Zivilisationen in bedrohliche Krisen geraten).

 

 

Hans Jonas: Das Prinzip „Verantwortung”

 

Hans Jonas (1903 - 1993) studierte bei E. Husserl und M. Heidegger. Im Zentrum seines ethischen Konzepts steht der Versuch einer Überwindung der Kluft zwischen Sein und Sollen. Bereits in den 60er Jahren hat er ethische Themen der Medizin aufgegriffen, insbesondere die Gefährdung der “Idee des Menschen” durch Humanexperimente und Gentechnologie.

 

Jonas kritisiert Ethiken, die in der heutigen Zeit die globale Wirkung von Natureingriffen nicht berücksichtigen. Der in unserer Zeit endgültig entfesselte Prometheus ruft nach einer Ethik, die sich freiwillig Zügel anlegt. Jonas geht von der derzeitigen Lage der Menschheit aus. Was der Mensch von heute tun kann und womit er konfrontiert ist, hat nicht seinesgleichen in vergangener Erfahrung. Er fordert eine Ethik der Global-Verantwortung. Solche Verantwortung erstreckt sich auf die ganze Biosphäre des Planeten. Es ist notwendig, Fernwirkungen einzukalkulieren: Jonas wandelt das Sprichwort In dubio pro reo ab zu In dubio pro malo: Aufgrund der Tatsache, dass der Mensch nicht befähigt ist, alle Vernetzungen zu analysieren, muss er, wenn er im Zweifel ist, der schlimmeren Prognose vor der optimistischen Gehör schenken. Der neue ethische Imperativ muss heute lauten: Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deines Wollens ein! Handle im Zweifelsfall nach der pessimistischen Prognose!

 

Die traditionellen Moralsysteme werden nach Szczesny immer mehr durch eine weltweite Zivilisationsmoral unterlaufen. Diese ist eine Universalmoral, die es schrittweise und ohne Zwang zu verwirklichen gilt. Wir brauchen einen neuen Humanismus, eine echte menschliche Revolution, die von der Masse der Menschen akzeptiert wird; zwar nicht eine Umwertung aller Werte, aber doch eine neue zukunfts- und vor allem auch ökologisch orientierte Moral.

 

Der neue Humanismus muss unserem Zeitalter und dessen Krisen angemessen sein. Die neue Moral muss rational konzipiert sein, da irrationale Wertsysteme an der Realität scheitern. Bisher unantastbare Normen, die nicht mehr akzeptabel erscheinen, müssen umgestoßen werden.

 

Konrad Lorenz (1983) sieht eine enge Beziehung zwischen dem Schwund an Menschlichkeit und der Selbstvernichtung der Menschheit. Grundursache aller Umweltkrisen sei der egoistische Materialismus. Die Erkenntnis hat es schwer, sich gegen ein technokratisches System durchzusetzen, in dem Freude am Wachstum, Statusstreben und Machtgier dominieren. Aber auch ideologisch-dogmatische Verblendung verhindert eine Humanisierung der Menschheit. Ein grundlegendes Problem bildet auch die Überbevölkerung der Erde.

 

Die Idee einer Geburtenkontrolle stößt vielfach immer noch auf heftige Kritik, weil sie in Widerspruch zu alten, traditionellen moralischen Konventionen steht. Manfred SCHLAPP (1973) meint jedoch zu Recht: „Der Humanismus stirbt mit jedem neuen Menschen.”

 

 

Klassische Morallehren sind vor allem auf Individuum und private Gesinnung fixiert und von Nächstenliebe geprägt – wobei der „Nächste” meist nur der Angehörige der Familie oder der Sippe, ein Freund oder guter Bekannter ist. Der Mensch ist - wie Lorenz meint - gut genug für eine kleine Gruppe, aber nicht für eine Massensozietät.

 

 

Welche Werte sollen in einer modernen Gesellschaft gelten?

 

Leben nach der Goldenen Regel - Der Kommunitarismus von Amitai Etzioni

 

Bürger und Politiker konstatieren eine “Ego-Gesellschaft” und ein “Moral-Vakuum” und rufen nach Tugenden und Gemeinsinn. Antje Vollmer: “Wir brauchen eine zweite Umweltbewegung: den Wiederaufbau der sozialen Umwelt.” Neben den moralischen Tugenden (Aufrichtigkeit, Mitleid, Großzügigkeit) sind vor allem die Bürgertugenden (Mut, Höflichkeit, Fleiß, Anpassungsfähigkeit, Mäßigung) von Bedeutung. Sie geben dem Miteinander der Menschen eine Ordnung. Der US-Soziologe Amitai Etzioni fordert den Westen zum Wiederaufbau einer “moralischen Infrastruktur” auf. In den Schulen müsse verstärkt Werteerziehung stattfinden. Die wichtigste Instanz der Charakter- und Gewissensbildung ist die Familie. Kinder lernen zunächst am Vorbild der Eltern. Jedes schlechte Beispiel trübt die Motivation zur eigenen Tugendhaftigkeit. Laissez-faire-Erziehung aus Desinteresse oder Ratlosigkeit verhindert die Orientierung der Kinder.

 

Die wichtigsten Werte für eine Gesellschaft sind nach Etzioni persönliche Freiheit, eine soziale Ordnung, die auf den Werten der Mitglieder der Gesellschaft basiert und nicht auf polizeilicher Überwachung und schließlich ein vorsichtig austariertes Gleichgewicht zwischen den Freiheiten und der sozialen Ordnung. Die neue Goldene Regel, die sich an den Kategorischen Imperativ Kants anlehnt (“Handle so, wie du willst, dass die anderen handeln!”), lautet: Respektiere die soziale Ordnung der Gesellschaft genauso, wie die möchtest, dass die Gesellschaft deine persönliche Freiheit respektiert. Die soziale Ordnung beruht darauf, dass die Menschen meistens das Richtige tun, weil sie daran glauben, und andere ermutigen, auch so zu handeln. Ein gewisser Druck -oder besser eine Ermutigung- ist nötig, damit die Menschen auf dem Pfad der Tugend bleiben.

 

Eine neue Bewegung legt jetzt auch bei Kleinigkeiten wieder Wert auf Normen. So wird es nicht mehr toleriert, wenn die Leute das Radio zu laut stellen oder die Straße als Toilette benutzen. Folge: Wenn man kleinere Verstöße nicht zulässt, dann gehen auch die ernsten Delikte zurück.

 

Es geht darum, eine der Natur des Menschen und unserer Krisenzeit angepasste Moral zu schaffen. Diese muss menschengerecht, sachgerecht (z. B. umweltgerecht) und praktikabel sein. Zuerst gilt es, allgemeine Ziele festzusetzen, die durch die “neue” Moral erreicht werden sollen. Und da offensichtlich verschieden Ziele angenommen werden können, ergibt sich die Forderung nach Toleranz gegenüber anderen Letztzielen.

 

Ein mögliches Ziel wäre etwa das Überleben in Würde. Die entsprechende Supernorm würde dann lauten: “Die Menschheit soll überleben!” Denkbar wäre auch ein weniger menschenbezogener Standpunkt, der sich in folgender Forderung ausdrückt: „Die Biosphäre soll möglichst so, wie sie ist, erhalten bleiben!”

Während im ersten Zielbeispiel der Mensch im Mittelpunkt steht, wird bei Annahme der zweiten Supernorm moralisches Verhalten auch in Bezug auf alle anderen Lebewesen gefordert. Es gibt also verschiedene Standpunkte, die einer neuen – ökologisch orientierten – Ethik zugrunde gelegt werden können.

 

Modelle einer Umweltethik

 

(nach Hafemann, Michael in "Psychologie heute" 2/1988)

 

Die zahlreichen Umweltprobleme und Umweltkatastrophen machen deutlich, dass unser Umgang mit der Natur egoistisch, kurzsichtig und von mangelndem Verständnis für die großen Zusammenhänge gekennzeichnet ist. Verschiedene Modelle einer ökologischen Ethik stehen zur Diskussion.

 

Anthropozentrische Umweltethik

 

Ziel ist die Erhaltung der Umwelt für den Menschen. Er steht im Mittelpunkt. Er darf die Natur nicht beliebig zerstören, weil er sich dadurch letztlich selbst schadet.

 

Pathozentrische Umweltethik

 

Auch Tiere haben Anrecht auf optimales Wohlergehen, vor allem soweit sie (vermutlich!) schmerzfähig sind. (Tierhaltung, Tierversuche!)

 

Biozentrische Umweltethik

 

Alle Lebewesen haben Rechte und müssen dementsprechend behandelt werden. Im Extremfall dürfte auch ein schädliches oder gefährliches Tier nicht getötet werden.

 

Holistische Umweltethik

 

Da die belebte Natur ohne die unbelebte nicht möglich ist, muss die Natur als Gesamtheit erhalten werden.

 

Der Mensch ist Bestandteil der Natur und er muss in ihr überleben. So muss jede ökologische Ethik letztlich menschbezogen (anthropozentrisch) sein.

 

 

Die “neue” Ethik

 

Eine neue, ökologisch orientierte Ethik sollte auf zweifache Weise eine Fernethik sein: sie muss auch das Wohl künftiger Generationen zu ihrem Anliegen machen, und sie muss global gelten, also die gesamte Menschheit einbeziehen.

 

Die schonende Nutzung der Lebensgrundlagen, ihre Erhaltung, Pflege und Regeneration darf nicht weiterhin Angelegenheit nur einiger selbsternannter Natur- und Umweltschützer bleiben. Sie muss überlebenswichtiges Anliegen aller werden. Es gilt die Maxime: Handle so, dass die Überlebensinteressen aller heutigen und künftigen Lebenssysteme – auch zum Vorteil des Menschen – gewährleistet sind!

 

Diese Maxime sollte ein neues Konsumdenken zur Folge haben, das ein Verschwenden von Rohstoffen nicht mehr duldet und an eine Selbstbeschränkung jedes einzelnen appelliert.

Weltweite Solidarität und Zusammenarbeit, Arbeitsteilung und Brüderlichkeit sind wichtige, aber sehr schwer erfüllbare Forderungen an eine zukünftige Ethik. Schwer erfüllbar deshalb, weil sie über den unmittelbaren Lebensbereich des einzelnen weit hinausgreifen und daher schwer zu vermitteln sind.

 

Hedonismus als zeitgemäße Ethik (?)

 

(nach einem Vortrag von Bernulf Kanitscheider)

 

Das Programm des Hedonismus ist ein individualistisches Lebensideal, in dem das eigene Glück das Ziel ist. Der Mensch strebt von Natur aus nach Lust. Nicht die Vernunft, sondern die Erfahrung liefert den obersten Wert. Aufgabe der Vernunft ist es, das Begehren zu verwalten. Sie wird nicht gebraucht, um eine Tugendlehre zu begründen, sondern zur Bilanzierung von Lust und Unlust. Da auf Ausschweifungen jeder Art nur um so schmerzhaftere Rückschläge zu folgen pflegen, muss die Vernunft das Streben nach Glück leiten und zügeln.

 

Epikur von Samos (um 300 v.Chr.) lehrte einen verfeinerten Hedonimus, den er auf empirischer Basis aufbaute. Erst muss man den Menschen aufklären über die vielen metaphysischen Illusionen, denn die Furcht vor den traditionellen Göttern steht dem Glück im Wege, die Furcht vor dem Tode führt zur Täuschung des Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele. Die hedonistische Ethik ist eine von metaphysischer Sparsamkeit getragene Lebensphilosophie. Anerkennung des Lustprinzips Vernunft reichen zu ihrer Konstituierung aus. Es werden keine metaphysischen Voraussetzungen (wie Götterlehre, Unsterblichkeit der Seele, Vorsehung) benötigt. Aufgrund dieser Unabhängigkeit von äußeren Sinnbezügen und seiner Autonomie kann der Hedonismus gerade heute als lebensphilosophische Option einer naturalistischen Weltsicht gelten.

 

Diese sparsame Basis macht den Hedonismus zur geeigneten Ethik für die moderne Zeit, in der einerseits das naturwissenschaftliche Weltbild vorherrschend ist und andererseits das individuelle Glück der Person im Mittelpunkt steht.

 

Die Auffassung, Hedonisten seien egoistische Lustoptimierer, die sich um keine Tugenden, nicht um die Gemeinschaft, ja nicht einmal um das Wohlergehen der Objekte ihrer Begierde kümmern, wäre voreilig. Hedonisten anerkennen Tugenden, deuten diese jedoch anders: Der Wert der Tugend ist nicht absolut, sondern instrumentell. Tugenden dienen dazu, das angenehme Leben zielstrebig zu erreichen.

 

Beispiel Gerechtigkeit: Der Ungerechte kann nie sicher sein, dass seine Übervorteilung von Mitmenschen für alle Zukunft verborgen bleibt; dadurch wird seine Gemütsruhe und Glückseligkeit beeinträchtigt – und zwar mehr, als die rechtswidrig angeeigneten Güter es gut machen können. Andererseits tragen Wohlwollen, Liebe und Unterstützung zu unserer ausgeglichenen Seelenverfassung bei. Freunde sind nicht nur wichtig, weil sie uns Wohltaten erweisen, sondern auch das Gute, das wir ihnen tun, zu unserem eigenen angenehmen Leben beiträgt. Dies gilt auch bei ökologischen Überlegungen über eine lebenswerte Umwelt für unsere Nachkommen. Tugenden ergeben sich aus folgenorientierten Klugheitsüberlegungen. Wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft vorausdenkende Egoisten wären, wären keine Gesetze vonnöten.

Die Metaphysikfreiheit der epikureischen Lehre führte zu heftigen Abwehrreaktionen. Ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. wird der Epikureismus zum Gegenstand christlicher Polemik und verschwindet. Erst in der Renaissance wird die Philosophie der Lebensfreude wieder erweckt. In der Zeit der Aufklärung war Julien Offray de la Mettrie der radikalste Verteidiger einer lustorientierten Ethik. Im 19. Jahrhundert kommt die Tradition der Lustethik unter dem Einfluß der kantischen Pflichtethik fast ganz zum Erliegen. Nur im angelsächsischen Raum hielt sich ‑ getragen durch den Utilitarismus ‑ eine Lebensphilosophie hedonistischer Prägung. So meinte David Hume, “Die Vernunft ist die Sklavin der Leidenschaften sie soll es bleiben.” In unserem Jahrhundert betont Bertrand Russell eines der hedonistischen Wesensmerkmale, die Bedeutung des Augenblicks, auf die schon Horaz (carpe diem) hingewiesen hatte. Auch Herbert Marcuse kommt von einer gänzlich anderen philosophischen Ausgangsposition zu einem hedonistischen Gesellschaftsmodell: Wir brauchen ein neues Verhältnis zur Arbeit, das nicht mehr ausschließlich dem Leistungsideal, sondern auch dem Lustprinzip verpflichtet ist. Er beantwortet auch die Frage, warum das Modell so wenig Akzeptanz gefunden hat. Der Hedonismus ist antiautoritär, unbrauchbar für Ideologien und er lässt sich nicht zur Rechtfertigung einer Ordnung verwenden, die mit Unterdrückung der Freiheit verbunden ist. Helmut Schelsky: “Das beste Instrument zum Erzwingen von Angst und Gehorsam ist die Unterdrückung der Triebsphäre.”

 

 

Die 6 Haupt-Moraltypen der Gegenwart

 

Nach Robert Wuthnow

 

“Hauptsache ich”

 

die individualistischen Utilitaristen

 

(Utilitarismus = reines Nützlichkeitsdenken). Tun das, was den eigenen Interessen förderlich ist. Kein Widerstand, wenn sie ethisch Bedenkliches tun müssen.

 

“Jawoll, Chef!”

 

Die Gruppen-Utilitaristen.

 

Tun das, was dem Arbeitgeber (bzw. Einer anderen Autorität, der sie sich verpflichtet fühlen) nützlich ist, auch wenn es fragwürdig ist.

 

“Irgendwie find’ ich das Kacke”

 

Die Gefühlsmoralisten.

 

Lassen sich in ihren Wertentscheidungen von (oft spontanen) Emotionen leiten (nicht unbedingt vom Gewissen).

 

“Ich will helfen”

 

Die Altruisten.

 

Wollen andere Menschen unterstützen, auch wenn sie sich dafür über Normen hinwegsetzen müssen.

 

“Das muss einfach so sein”

 

Die Moral-absolutisten.

 

Glauben zu wissen, was gut und böse ist, lassen keine Relativierung zu.

 

“Das ist Gottes Gesetz”

 

Die Religiösen Moralisten.

 

Tun das, von dem sie glauben, dass Christus (bzw. ein anderer Religionsstifter) es tun würde.

 

6. Macht und Recht

 

Der Mensch ist ein geselliges Wesen. Es liegt in seiner Natur, Gruppen zu bilden. In jeder Gruppe aber findet eine Rollendifferenzierung statt. Besonders wichtig ist dabei die Führerrolle.

 

Es liegt nahe zu vermuten, dass sich bereits bei unseren frühesten Vorfahren kräftige und mutige Männer etwa bei der Jagd oder bei Stammeskriegen besonders hervortaten und daher zu Anführern aufstiegen. Durch Eroberungsfeldzüge mögen solche Stammeshäuptlinge ihr Territorium ausgeweitet haben und so immer mächtiger geworden sein. Ein Herrscher regierte ursprünglich vermutlich meist autoritär. Er besaß große Macht über seine Untertanen.

 

Erst von der Aufklärung gingen jene Impulse aus, die den schrittweisen Wandel von absolut regierten Staaten über die Gewaltentrennung im Staat zur parlamtentarischen Demokratie auslösten. In einer parlamentarischen Demokratie “geht alle Macht vom Volke aus” – wenigstens auf dem Papier. Vielfach freilich sind an die Stelle eines absolut regierenden Herrschers Strukturen getreten, mit deren Hilfe einige wenige die Mehrzahl der Staatsbürger fallweise nicht weniger wirksam beeinflussen als die Zwangsbeglücker eines überwundenen Obrigkeitsstaates. Daneben gibt es eine Reihe von Staaten, deren Bewohner unter diktatorischen Regimen zu leiden haben. Einen Tyrannen zu stürzen ist äußerst schwierig und von innen her oft fast unmöglich, weil ein ausgeklügeltes Spitzel- und Unterdrückungssystem dies wirkungsvoll zu verhindern weiß. Heute gibt es zwar von der UNO deklarierte Menschenrechte, aber diese werden weltweit immer wieder verletzt.

 

Naturrecht oder positives Recht?

 

Auch wenn das Recht nach der Verfassung einer parlamentarischen Demokratie “vom Volke aus geht”, so sind es doch einige wenige Rechtsgelehrte, welche die Gesetzte machen. Eine wesentliche Voraussetzung dafür sind gewisse Moralvorstellungen, von denen sich die Verantwortlichen leiten lassen müssen. Dabei sind gewisse Zielvorstellungen - wie “optimales Zusammenleben der Menschen in möglichst großer Freiheit” – notwendig.

 

Die Auffassung, dass man Rechtsnormen aus der Natur des Menschen ablesen könne, bezeichnet man als Naturrechtslehre. Der Grundgedanke des Naturrechts ist auf den ersten Blick naheliegend: Der Mensch ist nicht nur ein Produkt seiner Kultur, sondern auch das Ergebnis einer langen Entwicklung oder einer Schöpfung Gottes. In beiden Fällen muss er eine bestimmte eigene “Natur” haben. Wenn es gelänge, diese Natur (das “Wesen”) des Menschen zu erkennen, so müsste es möglich sein, aus dieser Natur Rechte des Menschen abzuleiten.

 

Hinter der Naturrechtslehre verbirgt sich vielleicht der Wunsch, das gewollte oder gerade geltende Recht als ursprüngliches und unabänderliches Recht zu deklarieren. Von einem Naturrecht kann man nur in einem anderen Sinn sprechen, nämlich in Hinblick auf jene “natürlichen”, biologisch vorgegebenen Verhaltensregeln, ohne deren Beachtung der Bestand der Gesellschaft gefährdet wäre und die daher in jede Rechtsordnung aufzunehmen sind. “Ethische Forderungen, die nicht von konkreten biologischen Gegebenheiten ausgehen, sind unsinnig.” (Wickler 1972)

 

Der Gegensatz zum Naturrecht ist das positive (von Menschen gesetzte) Recht. Der Rechtspositivismus bestreitet die Möglichkeit absoluter Rechtsnormen und Werte mit dem Hinweis auf die großen Unterschiede der Rechtssysteme der einzelnen Völker in Vergangenheit und Gegenwart.

 

Er verweist dabei auf die durch seine intellektuellen Fähigkeiten gegebene Verhaltensformbarkeit des Menschen. Auch gibt es bezüglich der Werte, die in den verschiedenen Kulturen geschätzt wurden, außerordentlich große Unterschiede. Abgesehen davon, dass kein einziger Rechtssatz tatsächlich bei allen Völkern und zu allen Zeiten in Geltung war, könnte das “ideale Naturrecht” auch niemals ergänzend oder korrigierend auf das jeweils geltende Recht einwirken, weil ersteres ja unveränderlich wäre.

 

Wie so oft dürfte auch hier die Wahrheit in der Mitte liegen. Zwar gibt es sicher kein aus der Natur des Menschen direkt ableitbares Naturrecht (aus dem Sein ist überhaupt kein Sollen deduzierbar), wohl aber gibt es biologisch verankerte und daher empirisch auffindbare Verhaltensnormen, die das Verhalten des einzelnen in überschaubaren Gruppen regeln und insofern allgemein gültig sind. Als vernunftbegabtes Wesen kann der Mensch freilich andere Wertordnungen und ihnen entsprechende Verhaltensregeln setzen, als sie triebmäßig vorgegeben sind. Eine solche Vergewaltigung seiner Natur war allerdings noch nie zu seinem Besten. Denn „idealistische Ethiken enthalten Gebote, die die menschlichen Möglichkeiten so falsch einschätzen oder überfordern, dass sie zwangsläufig zum Scheitern verurteilt sind; idealistische Ethiken stellen Verhaltensregeln auf, denen zeitlich bedingte Gültigkeit zukommt, die aber Übles zur Folge haben, wenn man für sie immerwährende Gültigkeit beansprucht.” (Szczesny 1971)

 

 

7. Hat das Leben einen Sinn?

 

„Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Die Entscheidung, ob das Leben sich lohne oder nicht, beantwortet die Grundfrage der Philosophie. Alles andere – ob die Welt drei Dimensionen und der Geist neun oder zwölf Kategorien habe – kommt erst später. Das sind Spielereien; zunächst heißt es Antwort geben.…Wenn ich mich frage, weswegen diese Frage dringlicher als irgendeine andere ist, dann antworte ich: der Handlungen wegen, zu denen sie verpflichtet. […] Galilei, der eine schwer wiegende wissenschaftliche Wahrheit besaß, leugnete sie mit der größten Leichtigkeit ab, als sie sein Leben gefährdete. […] Diese Wahrheit war den Scheiterhaufen nicht wert. […] Dagegen sehe ich viele Leute sterben, weil sie das Leben nicht für lebenswert halten. Andere wiederum lassen sich paradoxerweise für Ideen oder Illusionen umbringen, die ihnen einen Grund zum Leben bedeuten (was man einen Grund zum Leben nennt, das ist gleichzeitig ein ausgezeichneter Grund zum Sterben). Also schließe ich, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens die dringlichste aller Fragen ist. Wie sie beantworten?” (Albert Camus, Der Mythos von Sisyphos)

 

Im Gegensatz dazu hielten etwa die Empiristen des Wiener Kreises die Fragen nach dem Lebenssinn für ein Scheinproblem und lehnten daher eine Stellungnahme von der Philosophie her ab.

 

Nun ist aber die Frage nach dem Lebenssinn für jeden einzelnen von höchster Bedeutung. Sie lässt sich nicht dadurch beseitigen, dass man sie zu einem Scheinproblem erklärt. Zeigt eine genauere Analyse, dass die Fragestellung unklar oder gar semantisch unzulässig ist, so muss zunächst versucht werden, sie zu präzisieren. Sollte sich dann herausstellen, dass die Frage wissenschaftllich in keiner Weise beantwortet werden kann, so ist doch mit der Klärung des Problems einiges geleistet: etwa dass die Beantwortung der Sinnfrage an den Glauben zurückverwiesen oder die Sinngebung dem einzelnen überantwortet werden muss.

 

Der Mensch neigt dazu, Angst und Ungewissheit zu beseitigen, indem er allem Handeln und schließlich dem ganzen Leben einen Sinn zu verleihen sucht. Unser Verlangen nach Sinngebung ist sicherlich eine der Wurzeln aller Religionen. Ideologien und Religionen behaupten, einen absoluten Sinn des Lebens zu kennen. Dabei ist interessant, dass die meisten Lebensdeutungen pessimistisch sind. So ist für den Buddhismus alles Leben Leid, von dem es sich zu befreien gilt.

 

Für den Christen ist der Wille Gottes zwar „unerforschlich”, gibt jedoch dem menschlichen Leben immer einen (oft verborgenen) Sinn.

 

Heute werden die Antworten der Religionen auf die Lebenssinnfrage von vielen Menschen nicht mehr als befriedigend empfunden. Deshalb machen sich Aberglaube und oft äußerst menschenverachtende miese Ersatzreligionen in erschreckendem Maße breit. Die Tatsache, dass es auch zufriedene glückliche Menschen gibt, die nach einem Sinn des Lebens gar nie fragen, weil sie ein sinnerfülltes Leben führen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass zahlreiche Menschen in Angst und Unsicherheit leben, existenziell frustriert sind, einem existenziellen Vakuum leben, an einer Sinnlosigkeitsneurose leiden (Viktor Frankl). Dem modernen Menschen fehlt die existenzielle Geborgenheit, die ihm früher der überlieferte Glaube gab.

 

Der Tod und der Sinn des Lebens

 

Andererseits ist es gerade die Absurdität des Todes, die den Menschen immer wieder drängt, die Frage nach dem Sinn dieses kurzen und oft leidvollen Lebens zu stellen. Besonders der zufällige Tod vor allem junger Menschen erscheint uns sinnlos. Camus: „Es ist widersinnig, dass wir geboren werden, und ebenso, dass wir sterben.” Nach Camus ist die ganze Welt ohne Sinn, das Leben hoffnungslos. Der Tod ist nur durch Verachtung zu besiegen. Das Absurde hat Sinn, indem man sich mit ihm abfindet. Je weniger Sinn, desto besser wird das Leben gelebt.

 

Jede Antwort auf die Lebenssinnfrage muss den Tod mitbedenken. Die Versuche, dem Tod seine Unheimlichkeit zu nehmen, sind zahllos. Die Idee der Unsterblichkeit oder einer Seelenwanderung sind Beispiele dafür.

 

Seneca meint ”Der wolle nicht leben, der nicht sterben will. Denn das Leben ist uns mit der Bedingung des Todes geschenkt, er ist der Weg zu diesem Ziel. Unsinnig ist es daher, den Tod zu fürchten; denn nur das Ungewisse fürchtet man, dem Gewissen sieht man entgegen. Der Tod bedeutet eine gerechte und unabwendbare Notwendigkeit. Wer wollte sich beklagen, in einer Lage zu sein, in der sich alle ausnahmslos befinden. …Nicht den Tod fürchten wir, sondern die Vorstellung des Todes. Der Tod ist die Erlösung von allen Schmerzen und völliges Aufhören; über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus.”

 

Noch einprägsamer bagatellisiert Epikur den Tod: „Das schauerlichste Übel, der Tod, geht uns nichts an, weil, solange wir sind, der Tod nicht da ist; ist er aber da, so sind wir nicht mehr.”

 

Diese Interpretationen übersehen, dass

dem Toten zwar nichts mehr Böses, aber auch nichts Gutes widerfahren kann;

wir uns so sehr vor dem Totsein als vor den Umständen des Sterbens fürchten;

wir uns vor allem grämen über den Verlust lieber Mitmenschen;

der Mensch den Drang nach einer unbegrenzten Zukunft hat und oft unfähig ist, sich vorzustellen, einmal nicht mehr zu sein.

 

Was jedoch dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn. Bertrand Russell: „Das Glück ist wahr, auch dann, wenn es ein Ende finden muss, und auch das Denken und die Liebe verlieren nicht ihren Wert, weil sie nicht ewig währen.”

 

 

Arten von Lebenssinn

 

Während der gläubige Mensch den von seiner Religion vorgegebenen Lebenssinn übernimmt, muss der kritische Philosoph versuchen, auf andere Weise einen solchen zu finden.

 

Zunächst sind einige Begriffe, die in diesem Zusammenhang auftreten zu analysieren: Sinn, Wert, Ziel, Zweck.

 

Einen Sinn oder Wert “an sich” gibt es nicht. Er haftet keinem Ding oder Ereignis an, sondern wir vom Menschen zugeschrieben. Etwas erhält für mich einen Sinn, wenn ich ihm einen Wert beimesse. Auch von Ziel oder Zweck kann nur geredet werden, wo es Zielsetzungen durch ein bewusst handelndes intelligentes Wesen gibt. Sinn besteht in der Verwirklichung eines gesetzten Ziels, das von mir als wertvoll angesehen wird. Und was mir heute erstrebenswert erscheint, ist es morgen möglicherweise nicht mehr. Was mir wertvoll erscheint, ist für einem anderen vielleicht wertlos. Sinn, Wert, Ziel und Zweck sind relative Begriffe. Etwas ist immer für jemanden wertvoll oder sinnvoll.

 

Das bedeutet, dass ein objektiver, für alle Menschen verbindlicher Sinn des Lebens außerhalb desselben liegen müsste und daher für uns nicht erkennbar wäre. Nur eine überirdische metaphysische Instanz würde diesen Sinn kennen. Die Frage ist nur, was hätten wir davon.

 

Der österreichische Philosoph Robert Reininger (1947) schreibt: “Die Zielsetzung, die einen Lebenssinn gewähren soll, kann vom einzelnen selbst ausgehen, sie könnte aber ebensogut auch von außen an ihn herantreten und sich ihm als unabweisbar darbieten. ”Letztlich aber spricht Reininger vom „egozentrischen Charakter” der Lebenssinnfrage. Das heißt: Jeder muss für sich selbst entscheiden, worin für ihn sein ganz subjektiver Lebenssinn liegt. Wir selbst haben es in der Hand, unserem Leben ein ganz individuelles Ziel, einen Sinn zu geben. Der Mensch ist in der Beantwortung der Lebenssinnfrage autonom. Verschiedene Autoren geben recht unterschiedliche Lebensziele an.

 

Reininger unterscheidet drei mögliche Sinninhalte:

 

a) Selbsterhaltung (Biologismus),

 

b) Selbstbeglückung (Hedonismus),

 

c) Selbstvervollkommnung (Perfektionismus)

 

mit den Oberwerten Leben, Glück und Vollkommenheit.

 

Die Psychologin Charlotte Bühler fand auf Grund von Lebenslaufanalysen vier Menschentypen, die unterschiedliche Lebensziele verfolgen:

 

a) Der expansiv Schaffende sieht die Erfüllung seines Lebens vor allem im Aufbau von Besitz, im Herstellen von Produkten und Leistungen, die er auch der Nachwelt zu übermitteln hofft und die seine Identiät überdauern.

 

b) Den sich anpassenden Typ befriedigt die Einordnung in die gegebene Umwelt, in Kultur und Natur.

 

c) Der dritte Typ ist in erster Linie auf Befriedigung von Genüssen, auf Liebe, Glück und ein schönes Leben bedacht.

 

d) Zur vierten Gruppe gehören Menschen, denen ihr Seelenfriede am wichtigsten ist. Sie legen Wert auf Harmonie und ein gutes Gewissen.

 

Roy Baumeister zählt vier Bedürfnisse auf, die das psychologische Gerüst jeder Sinn-Konstruktion darstellen:

 

a) Das Leben ist sinnvoll, wenn es darin Ziele gibt.

Neben den Alltagszielen gibt es weitergreifende Ziele (Glück, Zufriedenheit, Bedürfnislosigkeit, Liebe, Traumjob). Meist entpuppen sich diese Erfüllungs-ziele als Mythos, dem ein Leben lang vergeblich nachgejagt wird.

 

b) Das Leben ist sinnvoll, wenn es von festen Wertvorstellungen geprägt wird.

Je sicherer jemand in Religion oder ethischen Wertsystemen verankert ist, desto leichter gewinnt er auch “sinnlosen” Ereignissen einen Sinn ab.

 

c) Das Leben ist sinnvoll, wenn Menschen das Gefühl haben es zu kontrollieren. Die Überzeugung, das eigene Geschick zu lenken oder

 

zumindest beeinflussen zu können, ist sinnbegünstigend.

 

d) Das Leben ist sinnvoll, wenn Menschen das Gefühl haben, wertvoll und wichtig zu sein. Das Selbstwertgefühl kann sich aus Leistung, Gefühl der Überlegenheit oder auch aus der Zugehörigkeit zu einer Prestige-Gruppe speisen.

 

Viktor Frankl sieht folgende Möglichkeiten, das Leben „mit Sinn anzureichern”:

 

a) Bewusstes Erleben von Natur oder Kunst;

 

b) Begegnung und Liebe zu einem Menschen;

 

c) Kreativ ein Werk schaffen, durch sich ein


Date: 2015-12-11; view: 1337


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