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Interview War früher im Theater alles besser, Frau Lampe?

Müsste man Jutta Lampe mit einem Instrument vergleichen, wäre es wohl ein Stradivari-Cello. Denn samtiger, weicher, brillanter, klüger sprach und spielte auch an der Berliner Schaubühne niemand, wo sie in einem großen Ensemble zu den Größten zählte. Jetzt hat sie zum Gespräch in ihrer Berliner Altbauwohnung Tee serviert, und selbst wenn sie, den schmalen Körper grazil aufgerichtet, in einen Keks beißt, klingt es, als hätte der Himmel die Erde still geküsst.

Frau Lampe, was ist ein guter Regisseur?

Vor allem ein guter Spiegel. Den braucht man als Schauspieler, weil man sich ja selbst nicht sehen kann. Wenn dieser Spiegel nicht genau ist oder nicht offen für alle Eindrücke, erfährt man seine eigene Wirkung nicht. Dann kommt man sich wie ein Möbelstück vor, das sich auf Kommando dahin oder dorthin bewegen soll, und wird unsicher oder auch bockig. Durch die Arbeit mit Regisseuren wie Peter Stein, Klaus Michael Grüber, Luc Bondy bin ich allerdings ganz anderes gewöhnt. Die wussten sehr wohl, was sie wollten, aber sie guckten erst mal mit größter Wachheit, liebevoll und kritisch, auf die Schauspieler und auf das, was von der Bühne herunterkam.

Ist ein festes Ensemble die ideale Produktionsform für gutes Theater?

Ja, denn nur so entsteht wirkliches Vertrauen zwischen allen Beteiligten. Vertrauen ist eine Sache der Kontinuität, es muss sich bilden und entwickeln können, man kann es nicht einfach behaupten. Und es gehört auch ein guter Intendant dazu, der sein Ensemble fordert und fördert. Manchmal sieht man kleine, gut eingespielte Gruppen, wie um die Regisseure Alvis Hermanis oder Simon McBurney. Da spüre ich, dass sie alle gemeinsam etwas wollen. Das macht ihre Aufführungen so stark. Ich bin ein unskeptischer und nicht misstrauischer Mensch, aber es geht auch bei mir nicht ohne die Sicherheit, dass sich in den Proben und den Aufführungen alle wirklich aufeinander verlassen können. Eine Theaterarbeit braucht so viel Pflege wie eine Blume, die wachsen soll. Das kann man nicht erzwingen, wie man Liebe auch nicht erzwingen kann.

Man sieht Sie leider nur noch selten auf der Bühne. Trauen sich jüngere Regisseure nicht an Sie heran?

Scheint so! Ich weiß noch, dass sich Luk Perceval 2003 vor seiner Inszenierung von Racines „Andromache“ an der Schaubühne vorsichtig erkundigt hat: Kann man denn mit der Lampe arbeiten? Ist die nicht furchtbar schwierig? Ich habe sehr lachen müssen - denn das bin ich wirklich nicht! Und so habe ich mich ganz und gar auf seine Arbeitsweise eingelassen, obwohl es mir anfangs nicht leichtgefallen ist. Gegen Ende der Proben hatte ich jedoch begriffen, was er meinte. Er sagte etwa: „Keine Psychologie und solche Sachen“, aber ich bin mit Stanislawski und dessen Methoden der Einfühlung aufgewachsen. Ich glaube übrigens, dass die heute so um die vierzigjährigen Theaterleute - vielleicht zu Recht - eine große Wut auf Künstler meiner Generation haben. Das hatte ich auf die großen Alten nie. Im Gegenteil, wir sind in die Aufführungen von Kortner oder Strehler geradezu gerannt. Und haben nie gesagt, das ist doch der letzte Mist.



Sind Sie zu gut für junge Regisseure und machen ihnen Angst, weil Sie so viel können, wissen, wollen?

Oder denken diese Regisseure, Sie sind von gestern?

Bestimmt tun sie das, was sicher damit zu tun hat, dass sie gar nicht wissen, wie ich arbeite. Ein paar finden es vielleicht wirklich furchtbar. Die meisten, vermute ich, haben mich jedoch nie auf der Bühne gesehen. Dann würden sie eine heile, oft lyrische Figur entdecken. Das ist natürlich gar nicht mehr in, nicht einmal mehr bei den jungen Schauspielerinnen, die sich selbst in Rollen wie Gretchen oder Desdemona nicht mehr vertrauensvoll in einen Mann verlieben wollen. Da gibt es in der Art des Spielens sehr viel Distanz, auch zu sich selbst. Ich bin trotz der verschiedenen Ästhetiken, die ich kennenlernen durfte, nie auf die Idee gekommen, an großen Texten etwa von Schiller, Goethe oder Kleist zu zweifeln oder sie zertrümmern zu wollen. Manchmal habe ich das Gefühl, die Schauspielkunst geht wieder ein bisschen in Richtung Brecht. Ich dagegen halte mich an Stanislawski, der fordert, dass man sich in jeder Sekunde mit seiner Figur identifiziert. Das wird heute allerdings kaum noch geschätzt. Die neue Generation, also die Kinder der Achtundsechziger, sind auch privat anders - gebrochener in sich, dabei kühler dem Leben gegenüber. Sie erzählen nicht gleich jedem von ihrer Schwermut oder ihrer Not. Da heißt es gerne: Kein Problem! Als verschwänden allein durch positives Denken die Zweifel, Ängste, Sorgen.

Bestimmt dieses persönliche Bewusstsein dann auch das künstlerische Sein auf der Bühne?

Große Tragödien haben immer mit großen Kämpfen und Auseinandersetzungen zu tun und mit großen Gefühlen. Wenn man auf der Bühne aber nur zeigt, wie sehr man über den Dingen steht, wird aus den Klassikern etwas ganz anderes. Deswegen werden sie dann gerne verändert und fast immer kleiner gemacht, banalisiert. Und dazu diese ewige Schnellsprecherei . . . Ich sehe da selten das Bedürfnis, dass an den eigenen Kern herangekommen werden soll. Lieber setzen Regisseure und Schauspieler darauf, alles zu veräußerlichen. Man demonstriert vor allem, dass man den Überblick hat und sich nicht im Labyrinth der fremden Gedanken und Leidenschaften verliert. Ein bisschen Ironie hier, ein bisschen Distanz dort, das ist viel wichtiger. Natürlich ist Ironie schön, aber man muss doch auch andere Dinge zulassen, Schmerz oder Verzweiflung oder Hass oder Traurigkeit.

Aus welcher Grundverfassung heraus entstanden Ihre Rollen?

Ich fühlte mich nie als gebrochener Mensch. Es gab natürlich viele Probleme, Ängste, Schuldgefühle, ich habe Psychotherapien gemacht, um mit mir ins Reine zu kommen. Aber ich wusste immer, dass etwas in mir war, eine Seele vielleicht, ein Geist, die ich lebendig machen wollte. Ich habe dieses Unfassbare immer in mir gesucht und mich bemüht, es zu befreien. In dieser Hinsicht wusste ich immer, wohin ich wollte.

Sie waren fast dreißig Jahre an der Berliner Schaubühne. Wie ging es Ihnen nach der Entlassung 1999?

Schon während meines Engagements habe ich mich manchmal gefragt, ob ich wirklich mein ganzes Leben da verbringen will. Als mir unser Direktor Jürgen Schitthelm die Kündigung aussprach, fand ich das in Ordnung. Manchmal muss man ja vom Schicksal einen Tritt in den Hintern kriegen, damit man gezwungen wird, sich zu bewegen. Auch jetzt denke ich noch: Gott sei Dank ist es so gekommen, dass ich mich nun anders, selbständiger mit meinem Beruf auseinandersetze. Aber die ersten beiden Jahre danach war ich doch ziemlich verzweifelt und wusste nicht, was tun.

 


Date: 2015-02-28; view: 707


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