Home Random Page


CATEGORIES:

BiologyChemistryConstructionCultureEcologyEconomyElectronicsFinanceGeographyHistoryInformaticsLawMathematicsMechanicsMedicineOtherPedagogyPhilosophyPhysicsPolicyPsychologySociologySportTourism






Sozialhistorische (sprachliche) Quellen und linguistische Ursachen der Entlehnung

Sozialhistorische Quellen

Die wichtigste Ursache der Übernahme fremden Sprachgutes bilde Kontakte und Verbindungen zwischen Völkern, Sprachen und Kulturen. Die höher entwickelten Länder üben politischen, ökonomischen und kulturellen Einfluss auf die Nachbarvölker aus, die neue Gegenstände und Einrichtungen gleichzeitig mit fremdsprachlichen Benennungen kennen lernen und zum Teil übernehmen. Je nachhaltiger und länger dieser Einfluss ist, desto mehr Entlehnungen werden übernommen. In bestimmten historischen Perioden verläuft der Entlehnungsprozess aktiver, in anderen dagegen lässt er nach (vgl. Ãîðîäíèêîâà, Ðîçåí, 1967, 112).

Die Hauptquelle und die erste Art der Fremdwortübernahme (wie oben gezeigt) ist die Entlehnung des Wortes mit der Sache (im weitesten Sinn), Als die wohl früheste Schicht, als Substrat, gelten Entlehnungen aus dem Keltischen. Im 8.-7. Jh. v. Chr. besiedelten keltische Stämme Westeuropa, auch das Territorium des heutigen Deutschland. Wörter keltischen Ursprungs beziehen sich auf solche Gebiete, wie Landwirtschaft, Gesellschaftsordnung, Militärwesen: Amt, Reich, Burg, Beute, Held, Erbe, Beil, Eisen, Leder, leihen, reiten, welsch u. a. Vermutlich keltischer Herkunft sind einige Orts- und Flussnamen: Rhein, Main, Donau, Worms, Vogesen.

In der Zeit der römischen Besetzung, vor der hochdeutschen Lautver­schiebung (vor dem 5. Jh.) wurde lateinisches Wortgut zusammen mit neuen Kulturbegriffen übernommen. Die Entlehnungen der ersten „Welle“ betrafen ganze Sachbereiche:

Landwirtschaft, Acker-, Garten- und Weinbau: Pflanze — planta, Käse — caseus, Kohl — caulis, Korb — corbis, Rettich — radix, Sichel - secula, Wein — vinum, Most — mustum;

Militärwesen: Kampf— campus, Wall — vallum, Straße — (via)strata, Meile — milia, Pfeil — pilum;

Bauwesen: Mauer— mürus, Fenster— fenestra, Kammer— camera, Keller — cellarium, Pflaster — plastram, Pforte — porta, Ziegel — tegula;

Hauseinrichtung: Tisch — discus, Kessel — catillus, Pfanne — patina;

Handel: Markt — mercatus, Münze — moneta, Pfund — pondus, kau­fen — caupo „Schenkwirt“, „Krämer".

Die Sprache bereichert sich durch kulturelle und ideologische Ein­flüsse. Mit der zweiten „Welle“ brachte die Christianisierung (5. bis 9. Jh.) griechisches und lateinisches Wortgut mit sich. Neue Wörter entstam­men der Terminologie des Christentums, sind mit religiösen Ansichten und kirchlichen Bräuchen verbunden: Engel (griech. angelos), Kirche (griech. kyriakon „Haus des Herrn“), Pfaffe (griech. pappas), Kloster (lat. claustrum), Kreuz (lat. crux), Mönch (lat. monacus), Messe (lat. messa/ missa), Münster (lat. monasterium), opfern (lat. operari).

Im Mittelalter war das Latein die offizielle Sprache der Kirche und der Staatskanzleien, der Wissenschaft und der Schule. Das Klosterwesen war der Bildungsträger jener Zeit. Da der Schulunterricht auf lateinisch erteilt wurde, strömten ins Deutsche Wörter ein, die mit Bildung und Wissenschaft zusammenhängen: Schule (scola), Tinte (tincta), Tafel (ta­bula), Kreide (creta), schreiben (scribere), dichten (dictare), Meister {magister), Titel (titulus).



Die dritte „Welle“ lateinischer Entlehnungen ist im Zeitalter des Humanismus (14.—16. Jh.) zu verzeichnen. Die entlehnten Wörter betreffen solche Fachbereiche wie Buchdruck, Musik, Staatsverwaltung, aber insbesondere das Bildungswesen: Aula, Auditorium, Akademie, Abitur, Doktor, Professor, Examen, Fakultät, Zensur, studieren u. a. m.

Die Annahme des römischen Rechts förderte die Herausbildung der juristischen Terminologie. Lateinischer Herkunft sind solche Wörter wie: Familie, Prozess, Jura, Justiz, Klient, Magistrat, Advokat u.a.

Seit der Zeit des Humanismus und der Renaissance bildet lateinisches und zum Teil griechisches Wortgut den Kern aller Wissenschaftssprachen und Terminologien. Griechische Wörter kamen ins Deutsche über das Latein, das sind z.B. Bibliothek, Chor, Charakter, Katheder, Kirche. Zu den relativ neuen Bildungen des 19. — 20. Jhs. gehören die Termini: Phonetik, Telefon, Dynamit, Vitamin, Kosmos, Kosmodrom (zuerst im Russ.), Kybernetik (geprägt 1948 von dem amerikanischen Mathematiker N.Wiener).

Von verschiedenen sozialen Faktoren bedingt sind zahlreiche Entlehnungen aus dem Französischen. Man unterscheidet hier auch drei „Wel­len“. Das deutsche Rittertum orientierte sich im Mittelalter (12. —14. l.) an den Lebensformen des höher entwickelten Rittertums in Frankreich. Mehrere Begriffe (Sach- und Wortentlehnungen) kamen aus dem Wortschatz des höfischen Lebens: Tanz, tanzen, Manier, Turnier, Lanze, Harnisch, Panzer, Kristall, Rubin, Samt. Andere Wörter gehören jetzt zum Allgemeingut: Abenteuer, Platz, Preis, Palast, Turm, fein, klar, prüfen. Die zweite Schicht bildete sich gegen Ende des 16. und im 17. Jh. heraus, in der so genannten „Alamodezeit“. Es war eine Periode der bei­spiellosen Nachahmung von französischer Mode und Lebenshaltung. Fran­zösisch galt als vornehm, besonders in den herrschenden Kreisen. Friedrich I. sagte: „Ich spreche Deutsch nur mit meinem Pferdeknecht“. Mit französischen Wörtern wollte man seine Bildung und privilegierte Stel­lung dokumentieren. Vertreten sind verschiedene Bereiche: Bau- und Gar­tenkunst, Innenausstattung und Möbel, Essen und Trinken, Kleidung und Vergnügungen: Balkon, Fassade, Galerie (ital.- fr.), Loge, Garderobe, Salon, \Möbel, Sofa, Kostüm, Perücke, Frisur, frisieren, Parfüm, Serviette, servieren, Ragout, Sauce, Torte, Limonade, amüsieren, Ballett, Ball, Dame u. a.

Die dritte Entlehnungsschicht als Folge der französischen bürgerlichen Revolution (1789) beeinflusste entscheidend den deutschen politischen Wortschatz. Neue Begriffe und Ideen verbreiteten sich im Deutschen in Form von Fremdwörtern und Lehnübersetzungen: Revolu­tion, Republik, Klasse, Partei, Proletariat, Sozialismus, Bürokratie, Reaktion, Terrorismus, Initiative (im politischen Sinn), Demokrat, Komitee, Organisation, Fraktion, revolutionär, sozial, liberal, öffentliche Meinung, Fort schritt è. à. Diese Wörter wurden mit der Zeit Internationalismen.

Entlehnungen aus dem Italienischenumfassen zwei historische Ah schnitte und drei Fachbereiche. Die erste Periode (14. — 16. Jhd. brachte Begriffe des Finanz- und Militärwesens: Bank (Geldinstitut) Bankrott (eigtl. „zerbrochener Tisch des Geldwechslers"), Konto, Kasse Kredit, Lombard, Risiko, netto; Soldat, Kanone, Granate, Kavallerie, Proviant. In der zweiten Periode (17. — 18. Jh.) wurden viele Fach Wörter der Musik übernommen: Oper, Operette, Konzert, Arie, Duett, Bass Bariton, Solo, Sopran, Tenor, Violine u. a. Aus einer früheren Zeit stammen Kapelle, Sonate, Motette.

Das aus dem Englischen entlehnte Wortgutkam gegen Ende des 18., im 19, und massenweise im 20. Jh. (besonders nach dem Zweiten Weltkrieg) auf. Englisch wurde Mode. Entlehnte Wörterbetreffen einige Sachgebiete:

— aus dem Bereich der Technik und Wissenschaft: Koks, Patent, patentieren, Tunnel, Ventilator, Radar, Darwinismus (Selektionstheorie), Pferdestärke PS (engl. horse power);

— aus Handel und Finanzwesen: Banknote, Budget (franz.—engl.), Ex­port, Import, Partner, Prozent, Scheck;

— aus Politik und Gesellschaftsleben: Kongress, Koalition, Kolonisation, Opposition, Parlament, Parlamentarier, Klub, Meeting, Streik, Inter­view, Farmer, Reporter, Votum u. a.;

— aus Kunst und Musik: Film (1891 ins Deutsche übernommen als „lichtempfindlicher Zelluloidstreifen für Lichtbilder“), Clown, Star, Jazz, Beat, Rock, Song, Swing u. a.;

— aus dem Sport: Box, Boxer, Fußball (engl. football), Hockey, Jury, Match, Sport, Start, Tennis, Tourist, Trainer, Training u. a.;

— aus Mode, Haushalt, Kochkunst: Bar, Flirt, Frack, Gentleman, Kom­fort, komfortabel, Plaid, Pullover, Raglan, Smoking, Beefsteak, Brandy, Grog, Pudding, Punsch, Sandwich, Whisky, Picknick è. à.

Entlehnungen aus slawischen Sprachensind im deutschen Wortbestand nicht so zahlreich vertreten. Hier lassen sich drei Perioden feststellen. Voraussetzungen für die Übernahme dieses Sprachgutes waren in der ersten Periode (11. — 14. Jh.) die deutsch-polnischen Handelsbezie­hungen und die Ausdehnung des deutschen Siedelgebiets nach Osten. Zu Sach- und Wortentlehnungen dieser Zeit gehören Bezeichnungen für Handelsobjekte: Zobel, Stieglitz, Zeisig; Lebensmittel: Quark, Gurke, Schöps, Schmant/Schmetten (aus: tschech. smetana); ferner: Grenze, Kummet, Knu­te, Peitsche, Petschaft u. a . In der zweiten Periode (17. —19. Jh.) wurden Realienbezeichnungen übernommen: Rubel, Kopeke, Werst, Tai­ga, Tundra, Steppe (noch früher), Troika, Droschke, Kalesche, Tornister (aus dem Tschech.), Grippe, Wodka, Samowar, Balalaika, Pelmeni, Borschtsch, Soljanka (2. Hälfte des 20. Jhs. — in der DDR), Datsche u. a. Die dritte Periode umfasst die Zeit nach der Oktoberrevolution 1917 und nach dem Zweiten Weltkrieg (die so genannten Sowjetismen). Eine ganze Reihe von Wörtern und Wortverbindungen wurden aus dem Russi­schen in Form von Lexemen, Lehnübersetzungen und Lehnbedeutungen übernommen: Sowjet, Komsomol, Kolchos (e), Sputnik, Kosmonaut; Fünfjahrplan, Bestarbeiter, Komplexbrigade, Verbesserungsvorschlag, Parteiaktiv, sozialistischer Wettbewerb, Verdienter Meister des Sports; entlehnte Bedeutungen:Akademiker, Brigade, Pionier u. à. Viele von ihnen sind in den letzten15 Jahren Historismen geworden — im Zusammenhang mit ver­änderten sozialpolitischen Verhältnissen.

Die Entlehnungen aus anderen europäischen und orientalischen Sprachen haben im Deutschen sporadischen Charakter (s. dazu: Iskos, Lenkowa,1970, 102 — fremdes Wortgut aus 13 Sprachen).

Eine besondere Quelle der Entlehnungen bilden die Werke der Weltliteratur: Gral, m — wundertätiger Stein oder Gefäß mit heilender Wirkung aus der mittelalterlichen Dichtung); Phönix, m — sich im Feuer verjüngender Vogel der altägyptischen Sage als Symbol der ewigen Erneuerung undAuferstehung; Balsam, m; Palme, f (aus der Bibel); Don Juan — Frauenheld;Don Quichotte — weltfremder Schwärmer; Liliput — fiktives Land aus„Gullivers Reisen" von J. Swift, als Bestimmungswort in Komposita:

Liliputbahn; Robinson, m — Schiffbrüchiger auf einsamer Insel (nach dem Roman von D. Defoe). Viele Begriffe und Helden stammen aus der altgriechischen und römischen Mythologie.


Date: 2015-02-03; view: 1252


<== previous page | next page ==>
Etymologische Zusammensetzung des deutschen Wortbestandes. Anteil der Fremdwörter am deutschen Lexikon | Linguistische Ursachen der Entlehnung
doclecture.net - lectures - 2014-2024 year. Copyright infringement or personal data (0.007 sec.)